Hypersomnia ist kein Weltraumdings.

Was nach Überschallgeschwindigkeit und Warpantrieb klingt, gehört in das Universum der Schlafmedizin. Anhaltende Schlafstörungen rauben den Betroffenen eine Menge Energie. Sie können Ursache und Symptom von psychischen oder körperlichen Erkrankungen sein. Dieses Mysterium zu entschlüsseln, ist deine Mission als Psychiater. Wenn du von einem aufregenden Beruf träumst, vergiss die NASA – nimm Kurs auf die Welt der Psychiatrie!

Interview

Patienten helfen, auf den eigenen Biorhythmus zu hören, EEG-Wellen beim Oszillieren zusehen, Neurostimulationsverfahren erforschen – Kneginja Richter ist Leiterin der Schlafambulanz und des Labors für Neurostimulation und Chronobiologie an der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität. Ab wann ist gestörter Schlaf eine wirkliche Schlafstörung und wie findet man heraus, ob sie Ursache oder Symptom für eine ganz andere Erkrankung ist? Die Expertin bringt Lichts ins Dunkel.

Jeder kennt das: abends zu aufgedreht zum Einschlafen, nachts mehrmals wach und morgens zwar lange geschlafen, aber trotzdem müde. Frau Richter, wann genau spricht man von einer Schlafstörung?
Nicht sofort in Dornröschenschlaf zu fallen, wenn der Kopf das Kissen berührt, ist nicht zwangsläufig krankhaft. Es kommt allein auf den Leidensdruck an. Wenn Ein- oder Durchschlafen partout nicht klappen will und die Gedanken tagsüber und nachts um den Schlaf kreisen, dann kann man von einer Schlafstörung ausgehen. Auch die Dauer dieses Problems ist relevant.

„Dass man nach einem einschneidenden Lebensereignis eine oder zwei Wochen nicht gut schläft, ist nur allzu menschlich.“

Bei akuter Trauer kann die Schlaflosigkeit sogar bis zu sechs Wochen anhalten. Dauert jedoch der Kampf mit dem Schlaf jedoch länger als drei Monate, sollte eine schlafmedizinische Abklärung erfolgen.

Zwischen psychischen Erkrankungen und Schlafstörungen scheint es eine besondere Anziehungskraft zu geben. Kritische Lebensereignisse spielen also eine wichtige Rolle?
Schulabschluss, Beginn des Studiums, Auszug aus dem Elternhaus, Trennung und Verluste können jeden aus der Bahn werfen – den einen weniger und den anderen mehr.

„Eine Schlafstörung ist fast immer ein Vorbote für ein psychisches Leiden“

– und zwar sowohl bei Depression, als auch bei Schizophrenie oder z. B. bei einer Manie. Menschen, die emotionalen Belastungen gegenüber widerstandsfähiger sind – der Fachausdruck lautet Resilienz –, haben ein geringeres Risiko psychisch zu erkranken und andersherum. Ein gutes Beispiel für einen resilienten Charakter ist die Rolle von Leonardo DiCaprio im Film „The Revenant“, der sich schwer verletzt durch die Wildnis kämpft, um den Mord an seinem Sohn zu rächen.

Insomnie, Hypersomnie, Parasomnie – das klingt nach intergalaktischen Technologien aus einer anderen Welt. Was verbirgt sich dahinter?
Insomnie ist der medizinische Begriff für Schlaflosigkeit. Lange Einschlafzeiten, häufiges Erwachen in der Nacht und Erschöpfung am Tag sind die Symptome. Von einer Hypersomnie spricht man, wenn trotz einer langen Schlafdauer von über 10 Stunden die Müdigkeit weiter anhält. Schlafsucht wäre eine passende Übersetzung. Hinter dem Begriff Parasomnie verbergen sich mehrere Phänomene wie Schlafwandeln, nächtliche Ängste, Sprechen im Schlaf, Sexsomnie – also sexuelle Aktivitäten in einem Zustand des Schlafwandelns –, Schlaflähmungen und das Exploding-Head-Syndrom. Das Exploding-Head-Syndrom ist zwar vergleichsweise selten, aber die Symptomatik ist spannend, denn die Betroffenen werden durch laute, explosionsartige Geräusche aus dem Schlaf gerissen, die real gar nicht da sind.

Wie viele Menschen sind von Schlafstörungen betroffen?
Unter gelegentlichen Schlafstörungen leidet zum Beispiel ein Viertel der Bevölkerung in Europa und den USA. Befolgt man jedoch die Diagnosekriterien einzelner Schlafstörungen, so steht die Insomnie in der Rangliste auf Platz 1 und betrifft etwa 10 Prozent der deutschen Bevölkerung.

Wann kommen Patienten ins Schlaflabor und was genau passiert dort?
Wenn die Ursache für die Schlafstörung nicht gefunden werden kann, sollte zuerst eine ambulante Polygraphie durchgeführt werden. Ein kleines mobiles Gerät zeichnet dann zuhause über Nacht wichtige schlafbezogene Körperfunktionen auf. Sind die Daten auffällig, heißt es ab ins High-Tech-Bett, das im Schlaflabor bereitsteht. Schlafstörungen wie Schlafapnoe, Narkolepsie oder aber auch Insomnie, die nicht alleine, sondern in Begleitung anderer Erkrankungen vorkommt, können im Schlaflabor zuverlässig diagnostiziert werden.

Sie befassen sich intensiv mit allen Formen des Schlafes. Gibt es wissenschaftlich gesehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Ja, die gibt es, denn Männer sind die biologischen Jäger und schlafen im Gegensatz zu Frauen besser in Gesellschaft. Frauen sind genetisch auf Nachwuchs programmiert. Um nachts die Kinder zu hören, haben sie, biologisch bedingt, einen leichteren Schlaf.

Wie verändert sich Schlaf im Alter?
Sowohl die Dauer als auch die Qualität lassen im Alter nach. Man kann sagen, dass der Schlaf insgesamt kürzer und oberflächlicher wird. Technisch ausgedrückt: Die Amplitude der Extreme zwischen dem wachen, aktiven Zustand am Tag und dem tiefen, ruhigen Schlaf in der Nacht wird flacher.

Woran forschen Sie ganz aktuell?
Mein Team und ich erforschen neue Therapieoptionen und entwickeln Onlinetherapieprogramme für Patienten mit Schlafproblemen in Verbindung mit Schichtarbeit. Vor allem geht es darum, die Leistungsfähigkeit von Menschen, die an Insomnie leiden und im Schichtdienst tätig sind, zu optimieren. Wir arbeiten zum Beispiel mit Verfahren wie der transkraniellen Magnetstimulation oder Neurofeedback. Bei der transkraniellen Magnetstimulation werden Bereiche des Gehirns mit einem Magnetfeld angeregt; beim Neurofeedback können Patienten ihre eigenen Hirnströme auf dem EEG-Bildschirm sehen und sie willentlich beeinflussen. Ein anderes spannendes Thema ist die „innere Uhr“, die in unserer DNA verankert ist und vorgibt, ob wir eher Morgen- und Nachtmenschen sind. Wir untersuchen, welchen Einfluss dieser Typus auf die Leistungsfähigkeit hat. Unser Ziel ist, genau voraussagen zu können, zu welcher Tageszeit jemand sportliche und intellektuelle Spitzenleistungen erbringen kann.

Was sind die Herausforderungen?
Im wissenschaftlichen Bereich ist es mehr und mehr eine Herausforderung, hochqualitative Studien durchzuführen und dafür überhaupt Teilnehmer zu finden. Auch wenn es für die Qualitätssicherung in der Medizin einerseits wichtig ist, die Therapiewirksamkeit mit umfassenden Studien zu belegen, so ist und bleibt auf der anderen Seite der individuelle Zugang ganz wichtig. Jeder Mensch ist einzigartig und gerade im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie kommt es besonders auf eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung an.

Was mögen Sie am meisten an Ihrem Beruf?
Ich finde es spannend, dass ein erfahrener Psychiater seinen Patienten durch gezielte Fragen dazu bringt, die für ihn problematischen Verhaltens- und Denkweisen selbst zu erkennen. Für den Prozess der „Selbstreparatur“ ist das ganz wichtig.

„Für mich ist es fast ein bisschen wie Detektivarbeit.“

Nur gemeinsam kann man die Hinweise zusammentragen und den Fall lösen. Ganz spannend finde ich außerdem die aktuelle Entwicklung im Bereich der prädiktiven Medizin: Durch Biomarker oder genetische Untersuchungen wird es vielleicht schon bald möglich, einige psychische Störungen viele Jahre vor dem Auftreten der Symptome besser vorherzusagen. Damit rücken gezielte, individualisierte Präventions- und Behandlungsmaßnahmen in greifbare Nähe.

Warum haben Sie sich entschieden, Psychiaterin zu werden?
Das Mysterium des Gehirns hat mich schon immer fasziniert und vor allem die Tatsache, dass seine Funktionen noch längst nicht umfassend erforscht sind. Wir können zwar mit dem EEG seine elektrische Aktivität messen, aber das ist mit Sicherheit nur ein oberflächlicher Einblick. Es gibt noch keine ausreichende Erklärung für zahlreiche Vorgänge wie z. B. Emotionen, Intuition, Vorlieben und vieles mehr. Das Gehirn ist ein eigenes Universum, das uns noch viele Rätsel aufgibt.

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Lexikon

Im Schlaf vergessen wir Zeit und Raum und verarbeiten gleichzeitig neue Informationen, die über Nacht zu Gedächtnisinhalten werden. Dass Schlaf sich unmittelbar auf unsere Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit auswirkt und eine Rolle bei der Emotionsregulation spielt, ist nicht ganz neu. Einiges deutet darauf hin, dass er zum Beispiel auch Einfluss auf den Zucker- und Fettstoffwechsel und sogar auf unser Immunsystem nimmt. Dennoch sind seine Funktionen noch immer ein Mysterium, das erst teilweise erforscht ist.

Fest steht: Schlaf ist für alle höheren Lebewesen lebensnotwendig und die wohl wichtigste Aufgabe ist es – Überraschung! – uns wachzuhalten. Ist der Schlaf gestört, wirkt sich das auf alle Körperfunktionen negativ aus.

Vor allem im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen sind Schlafstörungen ein häufiges und komplexes Problem.

Als Psychiater bleibst du also nie auf ein und derselben Umlaufbahn, sondern erkundest auch die Welt des Schlafes.

Alles andere als ruhig
Schlaf ist kein passiver Ruhezustand. Vielmehr handelt es sich um einen Verhaltenszustand, der aktiv vom zentralen Nervensystem reguliert wird. Einige Organe arbeiten gedrosselt, andere sind sogar aktiver als im Verlauf des Tages. Um alle Körperabläufe zu regulieren, läuft das Gehirn im Schlaf auf Hochtouren und erzeugt verschiedene Schlafphasen, die der Körper abwechselnd durchläuft. Entdeckt wurden sie in den Anfängen der Schlafforschung in den 1930ern durch Messung der Hirnströme. Im Wesentlichen unterscheidet man den REM-Schlaf (REM = rapid eye movement) vom non-REM-Schlaf. Etwa alle 90 bis 120 Minuten wechseln sich die verschiedenen Schlafphasen ab. Im non-REM-Schlaf verlangsamt sich die Gehirnaktivität, die Augen beginnen zu rollen, die Muskelspannung lässt nach. Im REM-Schlaf dagegen passiert viel mehr. Schnelle Augenbewegungen unter den geschlossenen Lidern, steigender Blutdruck, unregelmäßige Herz- und Atemfrequenz – im REM-Schlaf arbeiten nur die lebenswichtigen Muskeln wie Herz und Zwerchfell. Die meisten Träume finden übrigens in der REM-Phase statt.

Der Mensch schläft 7 bis 8 Stunden pro Nacht, wobei das Schlafbedürfnis individuell sehr unterschiedlich sein kann. Manche Menschen sind nach 6 Stunden Schlaf startklar für den Tag und andere kommen erst nach 9 oder 10 Stunden in Fahrt.

47 Prozent der Bevölkerung leiden gelegentlich an Einschlafstörungen.

Faktoren wie Genetik, Arbeitssituation, soziokulturelle und geoklimatische Umstände sowie Lärm, Licht, Krankheiten, Geschlecht und Alter beeinflussen die Schlafqualität und -dauer. Rund 20 Prozent bewerten ihre Schlafqualität als ziemlich schlecht oder schlecht. Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen in Industrienationen ein bis eineinhalb Stunden kürzer schlafen als noch in den 1960er Jahren.

Von gelegentlichen Durchschlafstörungen sind über 60 Prozent betroffen.

Nicht völlig losgelöst
Eine besondere Anziehungskraft besteht zwischen psychischen Erkrankungen und Schlaf. Ein- und Durchschlafstörungen oder nicht erholsamer Schlaf sind ein Risikofaktor für die Entstehung psychischer Erkrankungen und andersherum sind sie ein häufiges Symptom dieser Krankheitsbilder. Kurzfristig ist Schlafentzug nicht weiter dramatisch. Ab und zu nach einer durchfeierten Nacht noch in den Frühclub gehen oder die Lieblingsserie gleich staffelweise gucken statt ins Bett zu gehen – das kann der Körper in der Regel gut wegstecken.

Kritisch wird es erst, wenn der Schlaf über einen Zeitraum von einem oder mehr Monaten gestört ist und sich das negativ auf den Tag auswirkt. Der Fachbegriff für diese medizinisch relevante Schlaflosigkeit lautet Insomnie. Etwa 6 Prozent der Bevölkerung erfüllen die Kriterien für eine Insomnie-Diagnose. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Schlafentzug beeinträchtigt Funktionen im Gehirn: Konzentration, Denk- und Merkleistung lassen nach und auch das Lernen fällt deutlich schwerer. Außerdem ist Schlaf für komplexe Hirnfunktionen wie die Steuerung von Emotionen von Bedeutung.

Wer schlecht schläft ist leichter reizbar und kann seine Gefühle nicht immer im Zaum halten.

Zu den häufigsten Schlafstörungen gehören neben Insomnien nächtliche Atmungsstörungen, auch Schlaf-Apnoe genannt, bei denen es zu Atemaussetzern während des Schlafens kommt. Insbesondere schwer und chronisch psychisch erkrankte Menschen sind davon betroffen. Wesentlich seltener kommen Hypersomnien vor. Man spricht hier von überdurchschnittlicher Müdigkeit tagsüber ganz unabhängig davon, wie gut und lange die Betroffenen nachts schlafen.

Ob Insomnie, nächtliche Atmungsstörungen oder Hypersomnie – Schlafstörungen können sich erheblich auf die Lebensqualität des Betroffenen auswirken und kosten viel Energie. Die Folgen sind Stimmungsschwankungen bis hin zu depressiven Verstimmungen, die auch Familie, Partner und Freunde belasten. Oft beginnt so ein Teufelskreis, aus dem die Betroffenen nur schwer allein ausbrechen können. Dazu kommt, dass mit der Tagesschläfrigkeit auch das Unfallrisiko steigt, z. B. durch Sekundenschlaf am Steuer oder auch bei der Arbeit mit gefährlichen Maschinen.

Huhn oder Ei? Die Antwort entscheidet über die Behandlung
Zu allererst müssen alle körperlichen und psychischen Erkrankungen, die als mögliche Ursache der Schlafstörung infrage kommen, festgestellt werden. Für die weitere Behandlung kommt es ganz darauf an, ob es sich um eine reine Schlafstörung (primäre Schlafstörung) oder eine Schlafstörung in Folge einer psychischen oder körperlichen Grunderkrankung handelt (sekundäre Schlafstörung). Als Psychiater gilt es hier besonders wachsam zu sein, denn die Behandlung der Grunderkrankung ist das A und O.

Um die Symptome richtig einordnen zu können, ist die genaue Erhebung der Krankengeschichte des Patienten ein erster wichtiger Anhaltspunkt. In einem ausführlichen Arzt-Patienten-Gespräch werden Schlafverhalten und die Lebensumstände geklärt. Ein Schlaftagebuch verhilft zu weiteren Informationen und kann auch der erste Ansatz sein, um schlafstörende Angewohnheiten zu entlarven.

Darüber hinaus steht auch allerhand Technik zur Verfügung, um den schlafbezogenen Beschwerden auf die Schliche zu kommen. Ein Gerät ähnlich wie eine Smartwatch, ein Aktometer, misst beim Schlafen die Bewegungsaktivität. Polygraphen überwachen und dokumentieren genauestens die Atemaussetzer und die Schlafphasen bei Verdacht auf eine nächtliche Atemstörung. Bei komplexen und länger andauernden Schlafstörungen werden die Patienten in ein Schlaflabor überwiesen. In zwei aufeinander folgenden Nächten findet ein kompletter Systemcheck statt, das heißt es werden sehr detaillierte Untersuchungen der Schlafstruktur, der Schlafstadien, der nächtlichen Bewegungen und der Atmung durchgeführt, die eine zuverlässige Diagnose erlauben. Bei Patienten mit erhöhter Tagesmüdigkeit werden zusätzlich Tag-Schlaftest-Untersuchungen veranlasst.

Deutschlandweit gibt es rund 300 akkreditierte Schlaflabore und schlafmedizinische Zentren.

Die Behandlung von Schlafstörungen richtet sich immer nach ihrer Ursache. Liegen organische Erkrankungen wie z. B. ein Schlafapnoe-Syndrom oder eine psychische Erkrankung vor, so müssen zuerst diese behandelt werden.

Wenn Schäfchen zählen nicht mehr hilft
Vor allem bei primärer Insomnie oder bei hartnäckigen Schlafstörungen, die mit psychischen Erkrankungen zusammenhängen, ist die beste Methode, um Schlafstörungen langfristig in den Griff zu bekommen, eine kognitive Verhaltenstherapie. Diese kann bei den allermeisten Patienten ambulant durchgeführt werden und wird typischerweise in kleinen Gruppen von 4 bis 8 Patienten durchgeführt. Die Therapie besteht aus einer Vielzahl von Bausteinen, die meist innerhalb von 2 bis 3 Monaten in wöchentlichen Sitzungen zur Anwendung kommen. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Wissen, sondern auch darum, wieder richtig schlafen zu lernen.

Eine Reihe von Schlafstörungen bessert sich bzw. verschwindet durch die medikamentöse Behandlung der Ursache. Hierzu zählen z. B. Schlafstörungen im Rahmen von Depressionen und Angsterkrankungen, bei denen es oft genügt, ein spezifisches Medikament zu verabreichen.  Echte Schlafmittel – sogenannte Hypnotika – sollten nur über kurze Zeiträume von wenigen Wochen eingenommen werden. Generell dürfen Schlafmittel nur unter ärztlicher Kontrolle verwendet werden. Eine längere Anwendung ist nicht ratsam, weil sich zumindest eine psychische Abhängigkeit entwickeln kann: Die Betroffenen haben das Gefühl, ohne Schlafmittel nicht mehr einschlafen zu können. Daher sollte auch die Einnahme von pflanzlichen Präparaten wie Baldrian immer in Absprache mit dem Arzt erfolgen.

Als Psychiater hast du es also nicht mit einschläfernden Standardfällen zu tun, sondern der ganzheitliche Blick auf den Menschen eröffnet dir unendliche Möglichkeiten.

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Interview

Im Joballtag haben Ärzte es nicht nur mit komplexen Krankheitsbildern zu tun, sondern mit echten Lebensgeschichten. Welche Herausforderungen der Beruf mit sich bringt und wie man sie täglich meistert, weiß Anna Westermair. Sie gehört zum Kernteam der Generation PSY und arbeitet als Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Uniklinikum Lübeck.

Bevor du Ärztin geworden bist, war dir klar, dass Schlafmedizin eine so große Schnittmenge mit dem Fach Psychiatrie und Psychotherapie hat?
Nein, das war mir tatsächlich so nicht klar. Genauer gesagt habe ich die Schlafmedizin einfach zu wenig beachtet. Vielleicht, weil ich im PJ und auch als junge Assistentin nur auf Akutstationen gearbeitet habe. Im Vergleich zu dramatischen Symptomen wie akustischen Halluzinationen und selbstverletzendem Verhalten sind mir Schlafstörungen da einigermaßen harmlos vorgekommen. Das ist natürlich Unsinn, denn gerade Menschen mit schweren psychischen Symptomen brauchen die Erholung des Schlafens.

Wer an Traumdeutung und Freud denkt, ist also auf der falschen Fährte?
Es ist ein typisches Klischee, dass Psychotherapie immer auch etwas mit Traumdeutung zu tun hat. Ich arbeite verhaltenstherapeutisch und auch meine Patienten bringen mir spontan Träume mit, auch wenn Verhaltenstherapie ja – wie das Wort schon sagt – am Verhalten ansetzt. Obwohl ich von Traumdeutung nichts verstehe, habe ich oft das Gefühl, dass der Traum zum Patienten „passt“. Eine Dame, die sehr auf ihr Äußeres bedacht ist und sich selbst viel Leistung abfordert, hat zum Beispiel mal von einem heruntergekommenen Ballsaal geträumt, den sie bis zum nächsten Tag renovieren solle. Ich habe festgestellt, dass uns die Themen Selbstüberforderung und Selbstdarstellung ja schon häufiger begegnet sind und ihr angeboten, weiter daran zu arbeiten.

Übrigens habe ich selbst früher häufiger geträumt, dass ich über den Pausenhof meiner Grundschule fliege. Ich sollte mal einen analytisch arbeitenden Kollegen fragen, was das wohl über mich aussagt.

Wenn du eine Diagnose erstellst, wie wichtig ist das Thema Schlaf?
Sehr wichtig! Ich finde auch, dass das ein ganz guter Eisbrecher am Gesprächsanfang ist. Schlaf hat viel mit Lebensqualität zu tun, da freuen sich die Patienten, wenn jemand sich dafür interessiert. Und bei vielen psychischen Erkrankungen sind Schlafstörungen ja ein diagnostisches Kriterium, z. B. bei depressiven Episoden oder bei Angsterkrankungen. Aber auch unter den Patienten mit anderen Diagnosen gibt es viele Schlafstörungen. Es kann einem nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz real einfach den Schlaf rauben, wenn man starke psychische Beschwerden hat!

Welchen Stellenwert hat ausreichend guter Schlaf für die Prävention oder Rückfallprophylaxe?
Es ist enorm wichtig für die seelische Gesundheit, regelmäßig gut zu schlafen. Mal eine maue Nacht macht nicht so viel aus. Dafür gibt es Kaffee. Aber ständig schlecht zu schlafen, zermürbt auf Dauer. Manche Leute kommen in einen Teufelskreis hinein – weil sie schlecht schlafen, legen sie sich mittags hin. Abends ist dann der Schlafdruck nicht groß genug, sie schlafen wieder schlecht und so geht es dann weiter. Sie sagen Treffen mit Freunden ab, weil sie zu müde sind und verbringen immer mehr Freizeit im Bett statt mit schönen Sachen. So kann sich eine Depression entwickeln.

„Schlafhygiene ist genauso wichtig wie Zahnseide zu benutzen.“

Als Ärztin bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig die meisten Menschen darüber wissen, wie man Schlaf positiv beeinflussen kann. Kurz vorher nicht zu mächtig essen, das Handy nicht in greifbarer Nähe ablegen, zu ähnlichen Zeiten ins Bett gehen – das alles gehört zur Schlafhygiene. Viele haben den Begriff noch nie gehört. Dabei ist das genauso wichtig wie Zahnseide zu benutzen!

Du arbeitest in einer Klinik und hast schon einige Bereitschaftsdienste hinter dich gebracht. Wie wirkt sich das auf deinen Schlaf aus und kann man sich darauf vorbereiten?
Nachtdienste vertrage ich nicht gut. In meiner ersten Nachtschichtwoche hatte ich es an einem Montagabend geschafft, den Pieper aus Versehen auf „stumm“ zu schalten. Natürlich hat genau dann der Chefarzt angerufen, um sich nach einem seiner Patienten zu erkundigen. Es ging dann eine große Suchaktion nach der nicht erreichbaren Assistenzärztin los. Den Rest der Woche hatte ich so große Angst, nochmal einen Funk zu verpassen, dass ich mich nicht getraut habe einzuschlafen. Auch tagsüber konnte ich kaum schlafen. Freitagfrüh war ich dann so übermüdet, dass ich auf dem Weg zur Übergabe einfach plötzlich im Stehen kurz weggenickt bin. Ich bin gegen die Wand gefallen, zurückgeprallt und weitergegangen. In der Übergabe selbst habe ich dann einen Lachanfall gehabt, was mir einige besorgte Blicke eingetragen hat. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles – auch an die Nachtschichten. Auf alle Fälle habe ich mir gemerkt, dass der Pieper eine Stumm-Taste hat, die man nicht verstellen sollte!

Der Tag nach einem Nachtdienst ist für mich aber immer noch nichts Schönes – ich fühle mich so, als hätte ich eine Grippe, habe Kopfschmerzen und bin echt reizbar. Also versuche ich zu schlafen oder schaue Serien. Nicht wirklich das, was man aktive Freizeitgestaltung nennt. Ich kenne aber auch Kollegen, die Nachtdienste ganz gut wegstecken, und dann morgens um 9:00 Uhr ans Meer fahren. Das hat schon was für sich.

Ob man sich vorbereiten kann auf Nachtdienste weiß ich nicht. Das mit dem „Vorschlafen“ funktioniert nicht, jedenfalls nicht bei mir. Aber ich habe im Lauf der Zeit gemerkt, dass es besser ist, in Nachtdiensten statt Kaffee kaltes Wasser zu trinken. Das macht auch wach, und die Chance ist größer, dass man tatsächlich schlafen kann, wenn man mal darf.

Noch extremer ist es ja, wenn man in Schichten arbeitet. Welche Folgen kann das haben?
Viele Patienten berichten mir, dass es mit der Zeit immer anstrengender für sie wurde, in Schichten zu arbeiten. Sie haben den Eindruck, dass ihre innere Uhr sich immer schwerer tut mit den ständigen Umstellungen – dass sie sozusagen ihrem Schichtplan hinterherhinken und ständig Schlafmangel haben. Einige Patienten haben auch Schwierigkeiten, ihren Schichtplan und ihr soziales Leben unter einen Hut zu bringen: Wenn sie Frühschicht haben, sind sie abends um acht schon zu müde um noch raus zu gehen, und wenn sie Spätschicht haben arbeiten sie abends noch, wenn andere sich treffen.

Wie schaffst du es, dass du die Schicksale deiner Patienten nicht mit nach Hause nimmst und sie dir schlaflose Nächte bereiten?
Ich hatte das Glück, für mein Fremdjahr auf unsere Palliativstation zu rotieren. Das war sozusagen eine Überflutung mit tragischen Schicksalen. Dank der tollen Kollegen dort habe ich gelernt zu akzeptieren, dass Leiden und Sterben eben zum Leben dazu gehören, genauso wie Sich-Verlieben und Glücklichsein. Das eine kann ohne das andere nicht sein. Klingt wie ein Kalenderspruch, ich weiß. Aber wenn man das nicht nur denkt, sondern als Überzeugung in sich fühlt, dann hilft das enorm bei der Arbeit mit Patienten, gerade den schwerstkranken. Das heißt, dass ich trotz allen Mitgefühls meine Zeit und Energie nicht darauf verwende, mich über Dinge aufzuregen, die ich nicht ändern kann. Noch so ein Kalenderspruch: Wer loslässt, hat beide Hände frei. Der hängt in meinem Büro.

Welches Forschungsthema fasziniert dich am meisten?
Eine wichtige Frage ist für mich, wie lange und in welcher Dosis wir Menschen mit Medikamenten wie Antidepressiva und Antipsychotika behandeln. Wer jemals einen Patienten gesehen hat, der Stimmen hört und sich verfolgt fühlt oder in tiefster Depression versunken ist, der versteht, dass in diesen Fällen Medikamente enorm hilfreich sind. Aber wie lange eine Behandlung sinnvoll ist, wie die Medikamente das Gehirn beeinflussen, wann man reduzieren oder sogar absetzen kann, das ist bisher häufig Erfahrungswissen und noch nicht genau untersucht.

Frühaufsteherin oder Langschläferin? Womit hängt es eigentlich zusammen, zu welchem der beiden Typen man gehört?
Eindeutig Frühaufsteherin! Aber erst nach der zweiten Tasse Kaffee bin ich wirklich zu gebrauchen…

„Die Biologie bestimmt größtenteils, welcher Chronotyp man ist.“

Ich konnte auch früher schon kaum länger als bis Mitternacht wach bleiben und bin regelmäßig auf Partys eingeschlafen. War das peinlich!

Was waren deine Erwartungen an den Beruf und wovon warst du überrascht?
Meine Erwartung war, dass ich eng mit meinen Patienten zusammenarbeiten kann, das ist auch mehr oder weniger erfüllt worden. Überrascht war ich von der Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten für Psychiater. Ich habe Kollegen, die machen täglich EKT und sezieren Mäuse-Gehirne, und ich mache Schematherapie und begleite Menschen durch ihre Chemotherapie. Und es ist der gleiche Beruf!

Ist Psychiaterin dein Traumberuf? Was magst du an deinem Job?
Ja, absolut. Ich wäre kreuzunglücklich, wenn ich was anderes machen müsste. Am meisten interessieren mich Patienten mit psychischen Beschwerden, die schlecht oder sogar gar nicht auf unsere Behandlungsmöglichkeiten ansprechen. Da geht es dann mehr um Akzeptanz und Sich-auf-das-konzentrieren-auf-das-man-Einfluss-hat als um Symptomreduktion. So ähnlich ist das auch bei meinen anderen Lieblingspatienten aus der Psychoonkologie. Also Krebspatienten, die wegen ihrer Erkrankung psychotherapeutisch betreut werden. Da sieht man das ganze Spektrum psychischer Gesundheit und Krankheit: Menschen, die viele Ressourcen und Stärken mitbringen und schwere Schicksale bewundernswert gut schultern können. Und Menschen, die schon vor der Tumordiagnose schwer psychisch erkrankt waren und nicht gut im Leben zurechtgekommen sind. Da muss man wirklich kreativ sein, sich mit den anderen Helfern gut abstimmen und für jeden Patienten einen maßgeschneiderten Behandlungsplan zusammenstellen. Das mache ich am liebsten, weil es eine spannende Herausforderung ist.

Was glaubst du, wie sieht Psychiatrie im Jahr 2057 aus?
Mein Wunsch wäre, dass wir in den nächsten vierzig Jahren lernen, den Patienten in seiner Gesamtheit als soziales Wesen noch besser zu behandeln. Aktuell konzentrieren wir uns sehr auf diagnostische Kriterien und Schweregrad-Scores. Wenn jemand durch antidepressive Behandlung kaum noch depressive Symptome hat, dann hat er meistens auch mehr Lebensqualität. Aber wenn jemand mit einer Schizophrenie mit einer medikamentösen Therapie zwar seltener Stimmen hört, aber immer noch einsam und arbeitslos ist, dann weiß ich nicht, ob wir ihm wirklich geholfen haben. Ich glaube also, dass wir verstärkt Wege und Mittel erarbeiten sollten, um Patienten zu helfen, ein möglichst erfülltes Leben zu führen. Gut schlafen ist da schon mal ein guter erster Schritt. Ich bin zuversichtlich, denn die Mondlandung haben wir ja auch geschafft.

 

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