Interview
Patienten helfen, auf den eigenen Biorhythmus zu hören, EEG-Wellen beim Oszillieren zusehen, Neurostimulationsverfahren erforschen – Kneginja Richter ist Leiterin der Schlafambulanz und des Labors für Neurostimulation und Chronobiologie an der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität. Ab wann ist gestörter Schlaf eine wirkliche Schlafstörung und wie findet man heraus, ob sie Ursache oder Symptom für eine ganz andere Erkrankung ist? Die Expertin bringt Lichts ins Dunkel.
Jeder kennt das: abends zu aufgedreht zum Einschlafen, nachts mehrmals wach und morgens zwar lange geschlafen, aber trotzdem müde. Frau Richter, wann genau spricht man von einer Schlafstörung?
Nicht sofort in Dornröschenschlaf zu fallen, wenn der Kopf das Kissen berührt, ist nicht zwangsläufig krankhaft. Es kommt allein auf den Leidensdruck an. Wenn Ein- oder Durchschlafen partout nicht klappen will und die Gedanken tagsüber und nachts um den Schlaf kreisen, dann kann man von einer Schlafstörung ausgehen. Auch die Dauer dieses Problems ist relevant.
„Dass man nach einem einschneidenden Lebensereignis eine oder zwei Wochen nicht gut schläft, ist nur allzu menschlich.“
Bei akuter Trauer kann die Schlaflosigkeit sogar bis zu sechs Wochen anhalten. Dauert jedoch der Kampf mit dem Schlaf jedoch länger als drei Monate, sollte eine schlafmedizinische Abklärung erfolgen.
Zwischen psychischen Erkrankungen und Schlafstörungen scheint es eine besondere Anziehungskraft zu geben. Kritische Lebensereignisse spielen also eine wichtige Rolle?
Schulabschluss, Beginn des Studiums, Auszug aus dem Elternhaus, Trennung und Verluste können jeden aus der Bahn werfen – den einen weniger und den anderen mehr.
„Eine Schlafstörung ist fast immer ein Vorbote für ein psychisches Leiden“
– und zwar sowohl bei Depression, als auch bei Schizophrenie oder z. B. bei einer Manie. Menschen, die emotionalen Belastungen gegenüber widerstandsfähiger sind – der Fachausdruck lautet Resilienz –, haben ein geringeres Risiko psychisch zu erkranken und andersherum. Ein gutes Beispiel für einen resilienten Charakter ist die Rolle von Leonardo DiCaprio im Film „The Revenant“, der sich schwer verletzt durch die Wildnis kämpft, um den Mord an seinem Sohn zu rächen.
Insomnie, Hypersomnie, Parasomnie – das klingt nach intergalaktischen Technologien aus einer anderen Welt. Was verbirgt sich dahinter?
Insomnie ist der medizinische Begriff für Schlaflosigkeit. Lange Einschlafzeiten, häufiges Erwachen in der Nacht und Erschöpfung am Tag sind die Symptome. Von einer Hypersomnie spricht man, wenn trotz einer langen Schlafdauer von über 10 Stunden die Müdigkeit weiter anhält. Schlafsucht wäre eine passende Übersetzung. Hinter dem Begriff Parasomnie verbergen sich mehrere Phänomene wie Schlafwandeln, nächtliche Ängste, Sprechen im Schlaf, Sexsomnie – also sexuelle Aktivitäten in einem Zustand des Schlafwandelns –, Schlaflähmungen und das Exploding-Head-Syndrom. Das Exploding-Head-Syndrom ist zwar vergleichsweise selten, aber die Symptomatik ist spannend, denn die Betroffenen werden durch laute, explosionsartige Geräusche aus dem Schlaf gerissen, die real gar nicht da sind.
Wie viele Menschen sind von Schlafstörungen betroffen?
Unter gelegentlichen Schlafstörungen leidet zum Beispiel ein Viertel der Bevölkerung in Europa und den USA. Befolgt man jedoch die Diagnosekriterien einzelner Schlafstörungen, so steht die Insomnie in der Rangliste auf Platz 1 und betrifft etwa 10 Prozent der deutschen Bevölkerung.
Wann kommen Patienten ins Schlaflabor und was genau passiert dort?
Wenn die Ursache für die Schlafstörung nicht gefunden werden kann, sollte zuerst eine ambulante Polygraphie durchgeführt werden. Ein kleines mobiles Gerät zeichnet dann zuhause über Nacht wichtige schlafbezogene Körperfunktionen auf. Sind die Daten auffällig, heißt es ab ins High-Tech-Bett, das im Schlaflabor bereitsteht. Schlafstörungen wie Schlafapnoe, Narkolepsie oder aber auch Insomnie, die nicht alleine, sondern in Begleitung anderer Erkrankungen vorkommt, können im Schlaflabor zuverlässig diagnostiziert werden.
Sie befassen sich intensiv mit allen Formen des Schlafes. Gibt es wissenschaftlich gesehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Ja, die gibt es, denn Männer sind die biologischen Jäger und schlafen im Gegensatz zu Frauen besser in Gesellschaft. Frauen sind genetisch auf Nachwuchs programmiert. Um nachts die Kinder zu hören, haben sie, biologisch bedingt, einen leichteren Schlaf.
Wie verändert sich Schlaf im Alter?
Sowohl die Dauer als auch die Qualität lassen im Alter nach. Man kann sagen, dass der Schlaf insgesamt kürzer und oberflächlicher wird. Technisch ausgedrückt: Die Amplitude der Extreme zwischen dem wachen, aktiven Zustand am Tag und dem tiefen, ruhigen Schlaf in der Nacht wird flacher.
Woran forschen Sie ganz aktuell?
Mein Team und ich erforschen neue Therapieoptionen und entwickeln Onlinetherapieprogramme für Patienten mit Schlafproblemen in Verbindung mit Schichtarbeit. Vor allem geht es darum, die Leistungsfähigkeit von Menschen, die an Insomnie leiden und im Schichtdienst tätig sind, zu optimieren. Wir arbeiten zum Beispiel mit Verfahren wie der transkraniellen Magnetstimulation oder Neurofeedback. Bei der transkraniellen Magnetstimulation werden Bereiche des Gehirns mit einem Magnetfeld angeregt; beim Neurofeedback können Patienten ihre eigenen Hirnströme auf dem EEG-Bildschirm sehen und sie willentlich beeinflussen. Ein anderes spannendes Thema ist die „innere Uhr“, die in unserer DNA verankert ist und vorgibt, ob wir eher Morgen- und Nachtmenschen sind. Wir untersuchen, welchen Einfluss dieser Typus auf die Leistungsfähigkeit hat. Unser Ziel ist, genau voraussagen zu können, zu welcher Tageszeit jemand sportliche und intellektuelle Spitzenleistungen erbringen kann.
Was sind die Herausforderungen?
Im wissenschaftlichen Bereich ist es mehr und mehr eine Herausforderung, hochqualitative Studien durchzuführen und dafür überhaupt Teilnehmer zu finden. Auch wenn es für die Qualitätssicherung in der Medizin einerseits wichtig ist, die Therapiewirksamkeit mit umfassenden Studien zu belegen, so ist und bleibt auf der anderen Seite der individuelle Zugang ganz wichtig. Jeder Mensch ist einzigartig und gerade im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie kommt es besonders auf eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung an.
Was mögen Sie am meisten an Ihrem Beruf?
Ich finde es spannend, dass ein erfahrener Psychiater seinen Patienten durch gezielte Fragen dazu bringt, die für ihn problematischen Verhaltens- und Denkweisen selbst zu erkennen. Für den Prozess der „Selbstreparatur“ ist das ganz wichtig.
„Für mich ist es fast ein bisschen wie Detektivarbeit.“
Nur gemeinsam kann man die Hinweise zusammentragen und den Fall lösen. Ganz spannend finde ich außerdem die aktuelle Entwicklung im Bereich der prädiktiven Medizin: Durch Biomarker oder genetische Untersuchungen wird es vielleicht schon bald möglich, einige psychische Störungen viele Jahre vor dem Auftreten der Symptome besser vorherzusagen. Damit rücken gezielte, individualisierte Präventions- und Behandlungsmaßnahmen in greifbare Nähe.
Warum haben Sie sich entschieden, Psychiaterin zu werden?
Das Mysterium des Gehirns hat mich schon immer fasziniert und vor allem die Tatsache, dass seine Funktionen noch längst nicht umfassend erforscht sind. Wir können zwar mit dem EEG seine elektrische Aktivität messen, aber das ist mit Sicherheit nur ein oberflächlicher Einblick. Es gibt noch keine ausreichende Erklärung für zahlreiche Vorgänge wie z. B. Emotionen, Intuition, Vorlieben und vieles mehr. Das Gehirn ist ein eigenes Universum, das uns noch viele Rätsel aufgibt.
Jetzt hat es dich gepackt und du willst wissen, wie du Psychiater werden kannst? Wir haben für dich alle Fakten zusammengestellt!