Inkohärenz ist keine neue Spezies.

Sondern als Symptom der Schizophrenie eine echte Herausforderung für Betroffene: Gedanken schwirren wie unbekannte Wesen umher, haben keinen Zusammenhang und machen Verständigung nur schwer möglich. Hier kommst du ins Spiel, denn mit der richtigen Unterstützung durch dich als Psychiaterin oder Psychiater lassen sich Struktur und Klarheit zurückgewinnen und das Ungewisse gehört der Vergangenheit an. Wenn du das auch spannender findest als die Entdeckung fremder Arten, dann ist die Psychiatrie dein Universum.

Interview

Was ist eine Schizophrenie? Wie kann ein Laie sich das Krankheitsbild vorstellen? Gibt es sowas wie charakteristische Symptome?

Eigentlich sprechen wir von Schizophrenien, also in der Mehrzahl, da wir eine Erkrankungsgruppe haben. Typisch ist eine Beeinträchtigung der Wahrnehmung, des Fühlens und des Denkens. Die Leitsymptome sind dabei akustische Halluzinationen, Ich-Störungen, wahnhaftes Erleben, massive Ängste, aber auch Veränderungen im Antrieb, in der Emotionalität und im Bewegungsmuster. Wir unterscheiden Positivsymptome, wie Stimmenhören oder wahnhaftes Erleben, Negativsymptome, wie sozialen Rückzug und reduzierte Emotionalität, motorische Symptome, wie Bewegungsarmut oder atypische Bewegungsmuster und last but not least kognitive Symptome, wie Störungen des Arbeitsgedächtnisses.

Wie verläuft die Krankheit?

Das ist sehr unterschiedlich – die Verläufe sind heterogen. Es gibt Schizophrenien, ca. 15-20 % aller Fälle, die durch eine einmalige Episode gekennzeichnet sind. Die meisten Erkrankungen verlaufen jedoch rezidivierend, das heißt es kommt zu mehreren Episoden. Die ersten Episoden sind durch ein gutes Therapieansprechen gekennzeichnet, während mit jedem Rezidiv die Wahrscheinlichkeit für ein gutes Therapieansprechen fällt. Leider sind 30-40 % der Erkrankungen nur schwierig zu behandeln. Insgesamt ist es ein schweres Krankheitsbild.

Worin liegen die Ursachen einer Schizophrenie? Gibt es eine genetische Disposition, also Vorbelastung?

Die Ursachen sind multifaktoriell – am besten kann die Ursache mit dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell erklärt werden. Es gibt Menschen, die aufgrund genetischer Risikokonstellationen, intrauterinen Infektionen oder Geburtskomplikationen, aber auch Traumata oder Vernachlässigung in der Kindheit eine erhöhte Vulnerabilität haben. Wenn dann in der späten Adoleszenz oder im jungen Erwachsenenalter übermäßiger Stress auf das verletzliche System trifft, steigt das Risiko für eine Schizophrenie. Aktuell kennen wir mehr als 130 Gene, die in Zusammenhang mit der Entstehung einer Schizophrenie gebracht werden. Auch gehen wir davon aus, dass eine gestörte Hirnreifung zu einer reduzierten Ausprägung hemmender Neuronen-Netzwerke führt, was dann wiederum viele andere Folgen im Gehirn hat. Natürlich muss hier der größte Umweltrisikofaktor, nämlich regelmäßiger Konsum, vor allem von hochpotentem Cannabis, genannt werden. Andere Faktoren sind beispielsweise Umbrüche in der Biografie in einem vulnerablen Alter oder hormonelle Umstellungen, zum Beispiel in der Menopause. Ihr seht, es spielen eine Menge Faktoren zusammen.

Sind Schizophrenien oft im Doppelpack mit Depressionen anzutreffen und wenn ja, gibt es da Zusammenhänge? Oder kann man das so pauschal nicht sagen?

Diese beiden Erkrankungen können zusammen auftreten, dann sprechen wir von der schizoaffektiven Störung, aber diese ist eher selten. Häufiger kommt es vor, dass der ersten Episode eine längere depressive Phase vorangeht, oder dass nach einer psychotischen Episode eine Depression folgt. Diese Erkrankungen zeigen eine biologische und klinische Überlappung, aber unterscheiden sich in den Symptomclustern und den Verläufen.

Wie kommen Menschen mit Schizophrenien in der Regel zu dir in Behandlung?

Die meisten Menschen kommen als Notfall in einer akuten psychotischen Phase zu uns in die Klinik. Wir bieten jedoch vor allem für Menschen mit Cannabis-Konsum eine spezielle Sprechstunde zur Früherkennung an. Ein gewisser Teil der Patientinnen und Patienten wird durch die Familien elektiv vorgestellt. Also die üblichen Zugangswege.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Die Diagnose wird mehrstufig gestellt. Es gibt die Kriterien nach der ICD-10 und demnächst ICD-11, die bindend sind. Daneben ist es wichtig, andere Komorbiditäten gleich mitzuerkennen, wie zum Beispiel eine Suchterkrankung, oder auch Traumafolgestörungen oder Zwangsstörungen. Daneben führen wir eine umfassende organische Ausschlussdiagnostik durch, um andere Ursachen, wie eine Entzündung des Gehirns oder eine Stoffwechselstörung, auszuschließen. Dazu gehören eine umfassende körperliche Untersuchung, umfangreiche Laboranalysen, ein cMRT und wir empfehlen bei Erstmanifestation immer eine Lumbalpunktion.

Welche Therapien haben sich als wirksam erwiesen?

Am wirksamsten ist die Kombination aus Antipsychotika und der kognitiven Verhaltenstherapie. Wichtige andere psychotherapeutische Verfahren sind das Metakognitive Training oder das Training von sozialen Fertigkeiten. Weitere wirksame Therapien sind psychosoziale Therapien, wie Sport oder Musiktherapie und die Neuromodulation wie die repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS). Bei schweren Verläufen hat die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) eine gute Wirksamkeit. Entscheidend ist jedoch, dass die Behandlung mutiprofessionell und stadienspezifisch erfolgt. Je nach Erkrankungsstadium muss der Mix der Therapien angepasst werden – unabhängig vom Stadium ist eine antipsychotische Pharmakotherapie immer empfohlen.

Was sind die besonderen Herausforderungen in der Therapie?

Die besondere Herausforderung ist schlichtweg die Schwere der Erkrankung mit einer häufig reduzierten Krankheitseinsicht vor allem in akuten Phasen sowie die Heterogenität der klinischen Manifestation. Weitere Herausforderungen sind die reduzierte Adhärenz und das häufige Absetzen der Medikamente. Vor zehn Jahren hätte ich das nicht so gesagt, aber eine der größten Herausforderungen ist mittlerweile der Gebrauch von Suchtmitteln, wie Cannabis oder Amphetaminen.

Was bedeutet eine Schizophrenie für Angehörige des Patienten oder der Patientin?

Die Erkrankung ist eine hohe Belastung für Patientinnen und Patienten und die Angehörigen. Oft sind die Inhalte der psychotischen Phasen oder Verhaltensweisen, wie ein massiver Rückzug oder eine Sprachverarmung nicht begreifbar, irritieren, aber können auch Angst machen. Die oft längeren Hospitalisierungen können Menschen aus dem Alltag reißen und die Wiedereingliederung erschweren. Arbeit mit Angehörigen ist eine wesentliche Säule der Therapie von Menschen mit einer Schizophrenie.

Viele Menschen mit einer Schizophrenie leiden nicht nur unter den Symptomen, sondern besonders unter der Stigmatisierung, die oft mit einer psychischen Erkrankung einhergeht. Was kann hier Abhilfe schaffen?

Absolut. Wir versuchen daher die Diagnose mit größter Zurückhaltung zu stellen. Entscheidend ist Aufklärung, Aufklärung und nochmals Aufklärung. Hier machen wir zum Beispiel Projekte im öffentlichen Raum, oder mit Schulen und wir bieten auch Tage der offenen Tür an. Darüber hinaus ist auch die Arbeit mit den Medien wichtig, um Vorurteile abzubauen.

Können Menschen mit einer Schizophrenie gefährlich werden für ihren Umkreis?

In der Regel nicht – es gibt jedoch insbesondere in Akutphasen immer wieder Aspekte einer Eigen- oder Fremdgefährdung, wobei die Eigengefährdung deutlich überwiegt. Wir wissen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass psychotische Syndrome im Zusammenhang mit Substanzkonsum und vor allem pharmakologisch unbehandelten Schizophrenien das Risiko für Gewalt- und Straftaten erhöhen. Leider wird das öffentliche Bild immer nur durch die sehr seltenen Fälle mit einer Fremdgefährdung geprägt. Dabei ist das Risiko für einen Menschen mit einer Schizophrenie, selbst Opfer einer Straftat zu werden, deutlich höher als selbst eine Straftat zu begehen. Die wenigen Fälle mit Fremdgefährdung müssen jedoch erkannt werden.

Wird es eines Tages möglich sein, den „Ausbruch einer Schizophrenie zu verhindern?

In meiner beruflichen Zukunft sicherlich nicht. Dennoch bin ich optimistisch, dass wir relativ bald mit modernen Verfahren der Datenintegration und Mustererkennung vor allem bei Menschen mit einer Risikokonstellation im Sinne einer indizierten Prävention frühzeitig Therapien anbieten werden. Neben den medizinischen Chancen müssen hier auch ethische Debatten sowie Diskussionen über eventuell nicht notwendige Behandlungen geführt werden. Ein sehr spannendes Feld.

Welche innovativen Ansätze oder Technologien werden derzeit erforscht?

Aktuell ist zum ersten Mal seit mehr als 25 Jahren Bewegung in die Medikamentenentwicklung gekommen, was extrem spannend ist. Bisherige Medikamente haben sich auf die Dopaminhypothese der Schizophrenie konzentriert, aber aktuell ist ein Paradigmenwechsel zu erkennen. Andere spannende Technologien sind Ideen zur Früherkennung von Rückfällen durch digitale Tools und natürlich die modernen Methoden der KI-Musterkennung. Wir selbst fokussieren uns auf die bessere Anwendung von vorhandener Evidenz, also wir beschäftigen uns damit, wie es gelingt, das beste medizinische Wissen in die Versorgung zu bringen. Weiterhin arbeiten wir an dem Thema Mortalität von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und versuchen „alte Medikamente“ für eine neue Indikation wiederzuentdecken. Das wird Drug Repurposing genannt. Und darüber hinaus noch viele andere spannende Dinge.

Was magst du am meisten an deinem Beruf?

Ich liebe meinen Beruf und gehe so gut wie jeden Tag sehr gerne zur Arbeit. Der Beruf ist vielfältig und die zu behandelnden Erkrankungen sind so unterschiedlich, dass ich eigentlich jeden Tag was Neues erlebe. Ich schätze es sehr, dass ich Mediziner und Therapeut sein kann – das ist mir besonders wichtig. Das Fach Psychiatrie und Psychotherapie ist eine Disziplin in der Mitte der Medizin.

Hast du Wünsche an die Nachwuchsarbeit der Generation PSY?

Ich finde eure Arbeit toll und empfehle eure Website und euren Content meinen Studierenden. Ich war ja mal vor vielen Jahren selbst bei euch aktiv. Meine Wünsche sind: macht weiter so und legt einen weiteren Fokus auf die somatische Kompetenz von uns Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie.

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Lexikon

Es gibt Wahrnehmungen, die wie aus dem Nichts auftauchen und sich nicht mehr so einfach abstellen lassen. Sie schleichen sich in den Alltag, flüstern aus dem Off, lassen die Realität verzerrt erscheinen. Dann gibt es Wahrnehmungen und Gedanken, die wie zusammenhanglos durch den Kopf schwirren. Manchmal tauchen die Symptome auch in Begleitung einer posttraumatischen Belastungsstörung oder nach einer depressiven Episode auf. All dies ist typisch für Schizophrenien, einer Erkrankungsgruppe, die mit einer Beeinträchtigung aller Sinneseindrücke einhergehen kann. Schizophrenien sind tiefgreifende psychische Erkrankungen, die das Denken, Fühlen und Wahrnehmen der Betroffenen verändern. Die Grenze zwischen Realität und Einbildung verschwimmt dabei häufig – und das zunächst oft, ohne dass die erkrankte Person es merkt.

Eben war die Welt noch vertraut

Grundsätzlich sind Veränderungen in der Wahrnehmung oder im Verhalten nicht per se ungewöhnlich oder gar krankhaft. Doch wenn diese anhalten und in Verbindung mit weiteren spezifischen Symptomen auftreten, sprechen Fachleute von einer Schizophrenie-Spektrum-Erkrankung. Sie kann schleichend oder plötzlich beginnen, aber immer verändert sie das gesamte Leben der Betroffenen. Die Ursachen sind vielschichtig: Genetische Faktoren, neurobiologische Prozesse und belastende Umweltbedingungen spielen zusammen. Die Krankheitsverläufe sind oftmals sehr heterogen, so dass keine Krankheitsgeschichte der anderen gleicht.

Die Erkrankung beeinflusst, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und interpretieren. Dies führt zu typischen Symptomen, die in Positiv- und Negativsymptome unterteilt werden:

Negativ? Es fehlt einfach etwas.

Negativ klingt erstmal nach was Schlechtem, aber es bedeutet einfach, dass etwas fehlt, was normalerweise da ist – zum Beispiel die Lust auf Sport, Treffen mit Freundinnen oder Freunden sowie die Fähigkeit, Freude zu empfinden.

Negativsymptome können sich auf viele Arten zeigen und den Alltag sehr herausfordernd machen. Sie beeinflussen, wie selbstständig man ist, wie leicht man Dinge erledigt und wie man mit anderen interagiert.

Tatsächlich betreffen diese bis zu 60 % der Menschen mit schizophrenen Störungen. Besonders tricky: Negativsymptome tauchen oft schon früh auf und erinnern an eine Depression. Man spricht dabei auch von den fünf „A“s:

  • Affektverflachung
    Emotionen zeigen? Schwierig. Mimik und Stimme bleiben oft monoton.
  • Sprachverarmung (engl. Alogia)
    Lange Gespräche? Fehlanzeige. Die Worte kommen nur zögerlich, oft in kurzen Sätzen.
  • Antriebslosigkeit
    Selbst die kleinsten Aufgaben fühlen sich riesig an. Dinge anzufangen oder durchzuziehen ist ein Kampf.
  • Sozialer Rückzug (engl. Asociality)
    Kontakte zu halten, wird anstrengend. Treffen mit Freund*innen oder Familie sind plötzlich nicht mehr so wichtig.
  • Anhedonie
    Das, was früher Spaß gemacht hat, fühlt sich plötzlich leer an – ob Musik, Hobbys oder einfach mal Lachen.

Positiv?

Darüber hinaus gibt es aber auch Positivsymptome:
Darunter fallen Halluzinationen – häufig akustische, seltener visuelle – sowie Wahnvorstellungen. Betroffene hören Stimmen, die kommentieren oder Befehle erteilen. Die Realität wird durch diese Erlebnisse überlagert.
Außerdem zeigt sich bei schizophrenen Störungen häufig, dass Aufmerksamkeit und die Kognition (Informationsvereinbarungsprozesse) beeinträchtigt sind. Konzentrationsschwierigkeiten sind typisch. Gedanken können sprunghaft oder unzusammenhängend sein, was zu einer schwierigen Kommunikation führt. Dies nennt man dann Inkohärenz oder Zerfahrenheit.
Last but not least kennzeichnen Schizophrenien auch häufig sogenannte affektive Symptome: Depressionen und Ängste begleiten die Erkrankung überdurchschnittlich oft. Suizidgedanken treten bei vielen Betroffenen auf, insbesondere in akuten Phasen.

Zahlen, Daten Fakten!

Schizophrenien treten weltweit auf, unabhängig von Kultur oder sozialem Status. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens zu erkranken, liegt bei etwa 1 %. Die meisten Betroffenen erleben die ersten Symptome zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr. Männer erkranken oft etwas früher als Frauen, in Summe tritt die Krankheit bei Männern und Frauen aber etwa gleich häufig auf. Frauen entwickeln die Erkrankung oft später, meist zwischen den späten 20ern und den frühen 30ern. Sie haben tendenziell einen etwas milderen Verlauf, vermutlich aufgrund hormoneller Schutzfaktoren wie Östrogen.
Etwa ein Drittel der Betroffenen erlebt nur eine einzige Episode, ein weiteres Drittel hat wiederkehrende Schübe, und für die restlichen Betroffenen wird die Erkrankung chronisch.

Unsichtbare Grenzen

Die Diagnose Schizophrenie ist nicht leicht zu stellen. Sie basiert auf ausführlichen Gesprächen und Beobachtungen der Betroffenen. Angehörige sind oft die Ersten, die Veränderungen bemerken: Rückzug, verändertes Verhalten, merkwürdige Überzeugungen. Doch viele Menschen mit Schizophrenie erkennen ihre Symptome nicht als krankhaft – ein Phänomen, das als Anosognosie bezeichnet wird. Es gibt Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die in der ICD-10 bzw. demnächst ICD-11 definiert sind. Häufig dauert es jedoch Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Früherkennung kommt jedenfalls eine sehr wichtige Bedeutung zu.

Empathie, Therapie, was hilft?

Die Behandlung von Schizophrenien erfordert einen multimodalen Ansatz:

  • Medikamentöse Therapie: Antipsychotika helfen, Wahnerlebnisse und Halluzinationen und die Rückfallwahrscheinlichkeit der Erkrankung zu reduzieren. Sie stabilisieren die Wahrnehmung, können aber Nebenwirkungen wie Bewegungsstörungen oder Gewichtszunahme haben.
  • Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie hilft, mit den Symptomen umzugehen. Sie unterstützt die Betroffenen darin, Realität von Wahnvorstellungen zu unterscheiden.
  • Soziale Rehabilitation: Viele Menschen mit Schizophrenien kämpfen mit Isolation. Tageskliniken, betreutes Wohnen oder Ergotherapie können helfen, soziale Kontakte wieder aufzubauen und den Alltag zu strukturieren.

Die Sache mit den Medikamenten

Seit Mitte der 1950er Jahren gibt es Antipsychotika, die die Symptome der Schizophrenie lindern können. Dabei unterscheidet man zwischen klassischen und atypischen Antipsychotika. Während klassische Medikamente oft Bewegungsstörungen nach sich ziehen können, bieten neuere Präparate ein anderes Nebenwirkungsprofil. Wirksam sind alle Antipsychotika, aber die Medikamente der neueren Generationen scheinen in der Summe eine bessere Langzeitverträglichkeit aufzuweisen. Doch Heilung bringen auch sie nicht – sie können lediglich helfen, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Ein großes Problem ist die mangelnde Medikamentenadhärenz: Viele Betroffene setzen die Medikamente eigenständig ab, weil sie die Nebenwirkungen nicht ertragen (möchten) oder sich gesund fühlen.

Und was kann im Alltag helfen?

Struktur und Unterstützung sind entscheidend. Regelmäßige Abläufe, soziale Kontakte und verständnisvolle Begleitung können den Betroffenen helfen, ihren Alltag zu meistern. Doch Schizophrenie ist nicht nur eine Erkrankung der Einzelperson – sie betrifft auch das Umfeld. Angehörige stehen oft vor großen Herausforderungen. Eine offene Kommunikation und psychoedukative Maßnahmen helfen, Missverständnisse zu vermeiden und gemeinsame Strategien zu entwickeln.

Achtung, jetzt wird’s chronisch!

Schizophrenie kann in verschiedenen Verlaufsformen auftreten. Während einige Betroffene nach einer Episode vollständig genesen, erleben andere wiederkehrende oder anhaltende Symptome. Besonders schwerwiegend sind schleichende Verläufe mit zunehmendem sozialen Rückzug und kognitivem Abbau. Eine frühzeitige und konsequente Behandlung kann den Verlauf jedoch positiv beeinflussen.

Eine schizophrene Störung ist eine komplexe Erfahrung, die das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen tiefgreifend verändert und mit sozialer Isolation und schmerzhaften Einschränkungen eingergehen. Mit einer Kombination aus Therapie, Medikamenten und sozialer Unterstützung können viele Betroffene jedoch ein erfülltes Leben führen.

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Interview

In der kommenden Nacht wachte ich vom Geräusch meiner eigenen Stimme auf. Ich musste an das Räuspern meines Vaters denken. Hatte ich gerade etwa das gleiche Geräusch gemacht? Zunächst war ich verwirrt, da ich nicht wusste, wo ich war. Als Kind war ich häufig geschlafwandelt. Ich stand vor dem Spiegel in meinem Zimmer und blickte mir selbst in die Augen. Ein Gedanke aus meinem Traum blieb hängen. Ich wollte nicht so werden wie mein Vater, und ich wollte nicht ebenfalls diese Krankheit bekommen. Wieso aber machte ich mir darüber so viele Sorgen? Das, was ich über diesen Zustand, der einer ersten psychotischen Episode vorausging, gelesen hatte, beschäftigte mich. Je nach Verlauf dieser Phase wurde der weitere Krankheitsverlauf beeinflusst. Es war also wichtig, erste Anzeichen ernst zu nehmen. Kurzerhand nahm ich meinen Mut zusammen und vereinbarte am nächsten Morgen einen Termin in einem Zentrum für Früherkennung. Ich traute mich nicht, mit Freunden oder sonst jemandem darüber zu reden. Was hätte ich auch sagen sollen? Es war schwer zu beschreiben, was sich da Merkwürdiges in meinem Kopf zusammenbraute. Davon abgesehen war es mir auch peinlich.

Als ich ein paar Tage später im Zentrum für Früherkennung ankam und endlich an der Reihe war zu beschreiben, was meiner Meinung nach nicht mit mir stimmte, erzählte ich alles, was ich mir vorher zurechtgelegt hatte. Ich erwähnte, dass es mir schwerfiel, mich auf Seminare und Vorlesungen zu fokussieren, dass ich mich nach und nach mehr zurückgezogen hatte und dass mir kleine alltägliche Dinge schwer von der Hand gingen und höchste Konzentration erforderten. Ich sprach auch über meinen Vater und meine Sorge, das Gleiche zu erleben wie er. Doch meine Befürchtungen klangen wohl nicht überzeugend genug, oder ich wirkte zu normal in dieser Situation. Der Arzt machte sich Notizen.

»Also das klingt für mich wie eine leichte Depression«, sagte er schließlich. Womöglich könne mir eine Therapie weiterhelfen. Anscheinend war ich nicht ausreichend in der Lage gewesen zu beschreiben, was sich abgespielt hatte. Ich war mir jedenfalls sicher, dass ich keine Depression hatte. Dann stand auch schon ein Kurzurlaub vor der Tür. Die Symptome ebbten bereits ab, ich fühlte mich wieder besser und in sozialen Situationen sicherer. Ich flog nach Barcelona, um eine Freundin zu besuchen und verbrachte schöne Tage. Nach meiner Rückkehr hatte ich das ganze Thema weitestgehend vergessen, und alles schien wieder in Ordnung zu sein. So vergaß ich den Vorschlag, eine mühsame Therapie zu beginnen. Ich wollte nicht krank sein, und da nüchtern betrachtet eigentlich nichts passiert war, schien es mir sinnvoll, die Sache einfach abzuhaken.

(…)

Je mehr ich las, desto mehr fragte ich mich, was das alles genau mit mir zu tun hatte. Natürlich, offenkundig war mein Vater der Grund. Meine Beschäftigung mit dem Thema konnte man als Aufarbeitung oder Distanzierungsversuch begreifen. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass das nicht alles war. Es war nicht einfach zu beschreiben, aber etwas an mir war anders als sonst. Ich war ungewöhnlich stark auf mich selbst fokussiert.

Ich wollte mir einen Kaffee machen, schaltete die Herdplatte an und schüttete das Pulver in den Espressokocher. In der Zwischenzeit ging ich ins Bad und musterte mich selbst kritisch im Spiegel. Etwas stimmte nicht. Ich ging schließlich zurück in die Küche. Normalerweise blubberte der fertige Kaffee nun hervor, doch ich hatte anscheinend das Wasser vergessen. Außerdem hätte ich den Kocher nicht auf die große Platte stellen dürfen; nun war der Henkel bereits ein wenig angeschmolzen. Es roch nach Plastik. Während ich mich bestätigt fühlte, dass etwas nicht in Ordnung war, beschloss ich, stattdessen Teewasser aufzusetzen. Ich stand vor dem Regal mit den Teebeuteln und wollte gerade hineingreifen, als mir einfiel, dass ich zunächst Wasser kochen wollte. Hinzu kam, dass ich mich nicht für eine Teesorte entscheiden konnte. Genervt verließ ich die Küche erneut und las weiter.

Schizophrenie verursachte allein in Deutschland jährlich volkswirtschaftliche Kosten von geschätzt vier bis neun Milliarden Euro. Es handelte sich damit um die teuerste psychische Erkrankung, und sie verursachte höhere Kosten als die weit häufiger vorkommenden Leiden Depression, Demenz und Suchtkrankheiten. Somit war Schizophrenie finanziell vergleichbar mit Volkskrankheiten wie Herzerkrankungen und Diabetes. Mein Vater war also ein erheblicher Kostenfaktor.

Normalerweise war das Ersterkrankungsalter bei Männern recht niedrig. Dies war ein Grund für die hohen Kosten. Er hatte in diesem Punkt Glück gehabt, denn er hatte bereits eine abgeschlossene Ausbildung und eine sichere Festanstellung in einem großen Betrieb, als die Krankheit über ihn hereinbrach. Die hohe Rehospitalisierungsrate war eine zweite Ursache für die hohen Kosten. Die war bei meinem Vater in jedem Fall gegeben, denn er hatte in der Vergangenheit häufig eigenmächtig die Medikamente abgesetzt und landete wieder und wieder in einer Klinik. Beim dritten Aspekt ging es um Frühberentungen, und der betraf meinen Vater ebenfalls. Er bekam eine Betriebsrente, von der er leben konnte. In den meisten Fällen sah es jedoch anders aus, denn bei vielen Erkrankten fehlten die Voraussetzungen für eine Frühverrentung, sodass die meisten Menschen mit dieser Krankheit auf Sozialhilfe angewiesen waren.

Diese Faktoren sowie auch eine vorzeitige Mortalität waren ausschlaggebend für die enorme Höhe der Gesamtkosten. Im Vergleich dazu waren die nicht gerade günstigen Neuroleptika, die mein Vater schon über einen so langen Zeitraum schluckte, noch vergleichsweise preiswert. Längerfristig wurde durch diese Medikamente Rückfällen vorgebeugt. Auch psychotherapeutische Maßnahmen, die mein Vater allerdings nicht wahrnahm, konnten sich langfristig auszahlen. Je früher die Krankheit erkannt wurde, desto besser ließ sie sich behandeln. Dementsprechend rückte die Früherkennung mehr und mehr in den Fokus. Bei diesem Thema musste ich nun schlucken. (…)

Du willst wissen, wie eine Schizophrenie-Spektrum-Erkrankung behandelt wird? Dann empfehlen wir dir das Experteninterview mit Prof. Alkomiet Hasan. Und noch mehr Fakten findest du im Lexikoneintrag. Viel Spaß beim Lesen!

  • Cordts Buch „ICH ist manchmal ein anderer.“ wurde im Goldmann Verlag veröffentlicht.