Interview
Was ist eine Schizophrenie? Wie kann ein Laie sich das Krankheitsbild vorstellen? Gibt es sowas wie charakteristische Symptome?
Eigentlich sprechen wir von Schizophrenien, also in der Mehrzahl, da wir eine Erkrankungsgruppe haben. Typisch ist eine Beeinträchtigung der Wahrnehmung, des Fühlens und des Denkens. Die Leitsymptome sind dabei akustische Halluzinationen, Ich-Störungen, wahnhaftes Erleben, massive Ängste, aber auch Veränderungen im Antrieb, in der Emotionalität und im Bewegungsmuster. Wir unterscheiden Positivsymptome, wie Stimmenhören oder wahnhaftes Erleben, Negativsymptome, wie sozialen Rückzug und reduzierte Emotionalität, motorische Symptome, wie Bewegungsarmut oder atypische Bewegungsmuster und last but not least kognitive Symptome, wie Störungen des Arbeitsgedächtnisses.
Wie verläuft die Krankheit?
Das ist sehr unterschiedlich – die Verläufe sind heterogen. Es gibt Schizophrenien, ca. 15-20 % aller Fälle, die durch eine einmalige Episode gekennzeichnet sind. Die meisten Erkrankungen verlaufen jedoch rezidivierend, das heißt es kommt zu mehreren Episoden. Die ersten Episoden sind durch ein gutes Therapieansprechen gekennzeichnet, während mit jedem Rezidiv die Wahrscheinlichkeit für ein gutes Therapieansprechen fällt. Leider sind 30-40 % der Erkrankungen nur schwierig zu behandeln. Insgesamt ist es ein schweres Krankheitsbild.
Worin liegen die Ursachen einer Schizophrenie? Gibt es eine genetische Disposition, also Vorbelastung?
Die Ursachen sind multifaktoriell – am besten kann die Ursache mit dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell erklärt werden. Es gibt Menschen, die aufgrund genetischer Risikokonstellationen, intrauterinen Infektionen oder Geburtskomplikationen, aber auch Traumata oder Vernachlässigung in der Kindheit eine erhöhte Vulnerabilität haben. Wenn dann in der späten Adoleszenz oder im jungen Erwachsenenalter übermäßiger Stress auf das verletzliche System trifft, steigt das Risiko für eine Schizophrenie. Aktuell kennen wir mehr als 130 Gene, die in Zusammenhang mit der Entstehung einer Schizophrenie gebracht werden. Auch gehen wir davon aus, dass eine gestörte Hirnreifung zu einer reduzierten Ausprägung hemmender Neuronen-Netzwerke führt, was dann wiederum viele andere Folgen im Gehirn hat. Natürlich muss hier der größte Umweltrisikofaktor, nämlich regelmäßiger Konsum, vor allem von hochpotentem Cannabis, genannt werden. Andere Faktoren sind beispielsweise Umbrüche in der Biografie in einem vulnerablen Alter oder hormonelle Umstellungen, zum Beispiel in der Menopause. Ihr seht, es spielen eine Menge Faktoren zusammen.
Sind Schizophrenien oft im Doppelpack mit Depressionen anzutreffen und wenn ja, gibt es da Zusammenhänge? Oder kann man das so pauschal nicht sagen?
Diese beiden Erkrankungen können zusammen auftreten, dann sprechen wir von der schizoaffektiven Störung, aber diese ist eher selten. Häufiger kommt es vor, dass der ersten Episode eine längere depressive Phase vorangeht, oder dass nach einer psychotischen Episode eine Depression folgt. Diese Erkrankungen zeigen eine biologische und klinische Überlappung, aber unterscheiden sich in den Symptomclustern und den Verläufen.
Wie kommen Menschen mit Schizophrenien in der Regel zu dir in Behandlung?
Die meisten Menschen kommen als Notfall in einer akuten psychotischen Phase zu uns in die Klinik. Wir bieten jedoch vor allem für Menschen mit Cannabis-Konsum eine spezielle Sprechstunde zur Früherkennung an. Ein gewisser Teil der Patientinnen und Patienten wird durch die Familien elektiv vorgestellt. Also die üblichen Zugangswege.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Die Diagnose wird mehrstufig gestellt. Es gibt die Kriterien nach der ICD-10 und demnächst ICD-11, die bindend sind. Daneben ist es wichtig, andere Komorbiditäten gleich mitzuerkennen, wie zum Beispiel eine Suchterkrankung, oder auch Traumafolgestörungen oder Zwangsstörungen. Daneben führen wir eine umfassende organische Ausschlussdiagnostik durch, um andere Ursachen, wie eine Entzündung des Gehirns oder eine Stoffwechselstörung, auszuschließen. Dazu gehören eine umfassende körperliche Untersuchung, umfangreiche Laboranalysen, ein cMRT und wir empfehlen bei Erstmanifestation immer eine Lumbalpunktion.
Welche Therapien haben sich als wirksam erwiesen?
Am wirksamsten ist die Kombination aus Antipsychotika und der kognitiven Verhaltenstherapie. Wichtige andere psychotherapeutische Verfahren sind das Metakognitive Training oder das Training von sozialen Fertigkeiten. Weitere wirksame Therapien sind psychosoziale Therapien, wie Sport oder Musiktherapie und die Neuromodulation wie die repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS). Bei schweren Verläufen hat die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) eine gute Wirksamkeit. Entscheidend ist jedoch, dass die Behandlung mutiprofessionell und stadienspezifisch erfolgt. Je nach Erkrankungsstadium muss der Mix der Therapien angepasst werden – unabhängig vom Stadium ist eine antipsychotische Pharmakotherapie immer empfohlen.
Was sind die besonderen Herausforderungen in der Therapie?
Die besondere Herausforderung ist schlichtweg die Schwere der Erkrankung mit einer häufig reduzierten Krankheitseinsicht vor allem in akuten Phasen sowie die Heterogenität der klinischen Manifestation. Weitere Herausforderungen sind die reduzierte Adhärenz und das häufige Absetzen der Medikamente. Vor zehn Jahren hätte ich das nicht so gesagt, aber eine der größten Herausforderungen ist mittlerweile der Gebrauch von Suchtmitteln, wie Cannabis oder Amphetaminen.
Was bedeutet eine Schizophrenie für Angehörige des Patienten oder der Patientin?
Die Erkrankung ist eine hohe Belastung für Patientinnen und Patienten und die Angehörigen. Oft sind die Inhalte der psychotischen Phasen oder Verhaltensweisen, wie ein massiver Rückzug oder eine Sprachverarmung nicht begreifbar, irritieren, aber können auch Angst machen. Die oft längeren Hospitalisierungen können Menschen aus dem Alltag reißen und die Wiedereingliederung erschweren. Arbeit mit Angehörigen ist eine wesentliche Säule der Therapie von Menschen mit einer Schizophrenie.
Viele Menschen mit einer Schizophrenie leiden nicht nur unter den Symptomen, sondern besonders unter der Stigmatisierung, die oft mit einer psychischen Erkrankung einhergeht. Was kann hier Abhilfe schaffen?
Absolut. Wir versuchen daher die Diagnose mit größter Zurückhaltung zu stellen. Entscheidend ist Aufklärung, Aufklärung und nochmals Aufklärung. Hier machen wir zum Beispiel Projekte im öffentlichen Raum, oder mit Schulen und wir bieten auch Tage der offenen Tür an. Darüber hinaus ist auch die Arbeit mit den Medien wichtig, um Vorurteile abzubauen.
Können Menschen mit einer Schizophrenie gefährlich werden für ihren Umkreis?
In der Regel nicht – es gibt jedoch insbesondere in Akutphasen immer wieder Aspekte einer Eigen- oder Fremdgefährdung, wobei die Eigengefährdung deutlich überwiegt. Wir wissen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass psychotische Syndrome im Zusammenhang mit Substanzkonsum und vor allem pharmakologisch unbehandelten Schizophrenien das Risiko für Gewalt- und Straftaten erhöhen. Leider wird das öffentliche Bild immer nur durch die sehr seltenen Fälle mit einer Fremdgefährdung geprägt. Dabei ist das Risiko für einen Menschen mit einer Schizophrenie, selbst Opfer einer Straftat zu werden, deutlich höher als selbst eine Straftat zu begehen. Die wenigen Fälle mit Fremdgefährdung müssen jedoch erkannt werden.
Wird es eines Tages möglich sein, den „Ausbruch“ einer Schizophrenie zu verhindern?
In meiner beruflichen Zukunft sicherlich nicht. Dennoch bin ich optimistisch, dass wir relativ bald mit modernen Verfahren der Datenintegration und Mustererkennung vor allem bei Menschen mit einer Risikokonstellation im Sinne einer indizierten Prävention frühzeitig Therapien anbieten werden. Neben den medizinischen Chancen müssen hier auch ethische Debatten sowie Diskussionen über eventuell nicht notwendige Behandlungen geführt werden. Ein sehr spannendes Feld.
Welche innovativen Ansätze oder Technologien werden derzeit erforscht?
Aktuell ist zum ersten Mal seit mehr als 25 Jahren Bewegung in die Medikamentenentwicklung gekommen, was extrem spannend ist. Bisherige Medikamente haben sich auf die Dopaminhypothese der Schizophrenie konzentriert, aber aktuell ist ein Paradigmenwechsel zu erkennen. Andere spannende Technologien sind Ideen zur Früherkennung von Rückfällen durch digitale Tools und natürlich die modernen Methoden der KI-Musterkennung. Wir selbst fokussieren uns auf die bessere Anwendung von vorhandener Evidenz, also wir beschäftigen uns damit, wie es gelingt, das beste medizinische Wissen in die Versorgung zu bringen. Weiterhin arbeiten wir an dem Thema Mortalität von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und versuchen „alte Medikamente“ für eine neue Indikation wiederzuentdecken. Das wird Drug Repurposing genannt. Und darüber hinaus noch viele andere spannende Dinge.
Was magst du am meisten an deinem Beruf?
Ich liebe meinen Beruf und gehe so gut wie jeden Tag sehr gerne zur Arbeit. Der Beruf ist vielfältig und die zu behandelnden Erkrankungen sind so unterschiedlich, dass ich eigentlich jeden Tag was Neues erlebe. Ich schätze es sehr, dass ich Mediziner und Therapeut sein kann – das ist mir besonders wichtig. Das Fach Psychiatrie und Psychotherapie ist eine Disziplin in der Mitte der Medizin.
Hast du Wünsche an die Nachwuchsarbeit der Generation PSY?
Ich finde eure Arbeit toll und empfehle eure Website und euren Content meinen Studierenden. Ich war ja mal vor vielen Jahren selbst bei euch aktiv. Meine Wünsche sind: macht weiter so und legt einen weiteren Fokus auf die somatische Kompetenz von uns Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie.
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