Forensik

Im Kopf der Täter.

Sie weiß, was in Straftätern vorgeht: Dr. Nahlah Saimeh ist Psychiaterin und leitet eine der größten forensischen Kliniken in Deutschland.
Dr. Nahlah Saimeh Foto: Münsterview/Tronquet

Als Sachverständige beurteilt sie, wer unter einer psychischen Erkrankung leidet und damit juristisch gesehen nicht schuldfähig ist.

Frau Saimeh, Forensik klingt nach einer Spezialeinheit aus Profilern und nach abgefahrenen Fällen. Trifft es das?
Forensik dreht sich um psychisch kranke Straftäter. Doch grundsätzlich gilt: Von einer Tat kann man nicht automatisch auf eine psychische Krankheit schließen. Besonders spektakuläre Kriminalfälle findet man ebenso bei Menschen, die psychisch völlig gesund sind und sich in lebenslanger Haft oder in der Sicherungsverwahrung befinden. In der forensischen Psychiatrie haben wir mit ganz unterschiedlichen Taten zu tun, dazu gehören auch Tötungsdelikte und andere schwere Gewalttaten. „Profiler“ sind wir jedoch nicht, denn beim Profiling geht es um den unbekannten Täter. Das ist die Aufgabe von spezialisierten Kriminalisten, die operative Fallanalysen betreiben. Die Forensik hat immer mit dem bekannten Straftäter als Patienten zu tun. In unserer Klinik arbeiten also keine Profiler, sondern Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Ergotherapeuten und psychiatrisches Pflegepersonal – wie in jeder anderen psychiatrischen Klinik auch. Wir befassen uns intensiv mit dem Risikomanagement und der Beurteilung unserer Patienten. Was viele überraschen wird: Es ist kein gefährlicher Arbeitsplatz.

„Von einer Tat kann man nicht automatisch auf eine psychische Krankheit schließen.“

In Ihrem Job haben Sie mit menschlichen Abgründen zu tun. Warum ausgerechnet die Arbeit mit den harten Fällen?
Auch die Abgründe gehören zum Menschsein dazu, das „Unmenschliche“ ist ebenfalls eine Handlungsmöglichkeit. Die Frage ist aber, ob jemand bewusst handelt oder psychisch krank ist. An meinem Beruf fasziniert mich die Schnittmenge zwischen der Psychiatrie und dem Rechtsstaat, denn als forensische Psychiaterin helfe ich nicht nur den Patienten, sondern übernehme auch eine gesellschaftliche Aufgabe.

„Auch die Abgründe gehören zum Menschsein dazu.“

Wie werden Menschen eigentlich zu Tätern?
Dafür gibt es sehr viele Ursachen. Eine davon hat zum Beispiel gar nichts mit psychischer Krankheit zu tun: Ich spreche von der Entscheidung für einen kriminellen Lebensstil. Wer mit Waffen- oder Drogenhandel sein Geld verdient, entscheidet sich bewusst gegen einen gesetzeskonformen Beruf. Andererseits können psychische Erkrankungen, wie eine unbehandelte Schizophrenie mit Wahnerleben und Sinnestäuschungen, zu Gewaltdelikten führen. Oder Menschen werden dann zu Tätern, wenn sie an ihre emotionalen Belastungsgrenzen kommen – etwa bei Totschlag aus Eifersucht.

Kann man den Menschen helfen?
Die forensische Psychiatrie kann vor allem Patienten mit den klassischen psychischen Erkrankungen wie Psychosen sehr gut helfen. Sie werden nach einer Entlassung so gut wie nicht mehr straffällig. Schwierig ist es bei Menschen mit sehr ausgeprägten Persönlichkeitsstörungen. Es ist aber auch in der Forensik so wie in jedem anderen medizinischen Fach: Vielen kann man gut helfen, einigen nur moderat und einige wenige profitieren kaum von der Behandlung.

Wie muss man es sich in einer forensischen Klinik vorstellen?
Das sind keine normalen psychiatrischen Kliniken, sondern Spezialkrankenhäuser nur für psychisch kranke Straftäter. Sie sind baulich deutlich höher gesichert. Die Mitarbeiter tragen Notrufmelder und es gibt umfassende Sicherheitskonzepte. Das hängt auch damit zusammen, dass die Patienten oftmals über Jahre in der Klinik leben. Es ist zum Beispiel klar geregelt, welche persönlichen Gegenstände sie mitbringen dürfen. Ein Teil der Patienten hat ja auch eine kriminelle Vorgeschichte und tut sich schwer mit der Akzeptanz von Regeln. Der Alltag auf den Stationen ist üblicherweise als sogenannter Wohngruppenvollzug – ähnlich wie große WGs – organisiert. Eine Forensik muss neben Arbeit auch Freizeitmöglichkeiten anbieten. Unsere Patienten haben ein gesetzlich verbrieftes Anrecht, innerhalb der gesicherten Bedingungen ein weitgehend „normales“ Leben zu führen.

Du willst am liebsten selbst die Fragen stellen? Die Generation PSY ist dein direkter Draht zu renommierten Psychiatrieexperten, die ihr Wissen gerne weitergeben.