Interview
Betreffen demenzielle Erkrankungen nur alte Menschen?
Was „alt“ bedeutet, ist ja immer Definitionssache. In Bezug auf die Alzheimer-Erkrankung unterscheidet man zwischen einer Erkrankung mit frühem Beginn (unter 65) und mit spätem Beginn (über 65). Der jüngste Patient, der mir bekannt ist, war erst Anfang 30, als die ersten Symptome auftraten. Grundsätzlich sind also nicht nur Menschen im Rentenalter betroffen, auch wenn der letztgenannte Fall zu den seltenen gehört.
Die kognitiven Leistungen lassen von Natur aus im Alter nach. Ab wann ist es etwas Ernstes?
Spätestens dann, wenn Schwierigkeiten bei der Orientierung oder bei alltäglichen Routineaufgaben auftauchen, sollte man aufmerksam werden. Das kann zum Beispiel im Haushalt sein oder auch bei „Papierkram“ wie Bankgeschäften – sofern man diese Dinge vorher eigenständig erledigt hat. Außerdem sollte man es ernst nehmen, wenn nahestehende Menschen einen ansprechen, weil sie Veränderungen im gewohnten Verhalten bemerken.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Am Anfang steht erst einmal die Anamnese. Da sind einige Fragen zu klären: In welchen Bereichen gibt es Defizite? Welche Begleiterkrankungen gibt es? Werden Medikamente eingenommen, die möglicherweise Gedächtnisprobleme verursachen können? Liegt eventuell auch eine Depression vor? Es folgt dann die körperliche und neurologische Untersuchung, um weitere Diagnosen auszuschließen oder zu bestätigen. Ebenso ist eine ausführliche Labordiagnostik angezeigt. Ein Kurztest hilft dabei, die kognitiven Fähigkeiten einschätzen zu können. Je nach Befund folgt dann eine neuropsychologische Testung. Zum Basisrepertoire gehört außerdem eine Bildgebung des Gehirns – idealerweise eine Schädel-MRT. Wenn klinisch eine Demenz vorliegt, die bis dahin erfolgte Differenzialdiagnostik aber keine sichere ätiologische Zuordnung ermöglicht hat, sind die Liquordiagnostik oder die Positronen-Emissions-Tomografie weitere Methoden, um der Ursache der Demenz auf die Spur zu kommen.
Was ist das Tückische an diesen Erkrankungen?
Das Tückische ist, dass insbesondere die Alzheimer-Erkrankung in der Regel schleichend beginnt und Patienten oft erst spät und/oder nur auf Drängen der Angehörigen zum Arzt kommen. Auch das Auftreten neuropsychiatrischer Symptome wie Ängste, Agitiertheit oder auch aggressive Tendenzen, die im Verlauf der Krankheit auftreten können, belasten Patienten und Angehörige in der Regel erheblich. Viele haben Angst vor der endgültigen Diagnose und denken, man könne ja ohnehin nichts dagegen tun.
Sterben Demenzkranke früher?
Wir wissen, dass sich im fortgeschrittenen Stadium das Risiko für Infektionserkrankungen erhöht. Zum einen verlieren die Patienten im Krankheitsverlauf an Immunkompetenz, zum anderen bestehen gerade im höheren Lebensalter weitere Begleiterkrankungen wie eben Bluthochdruck oder Diabetes, die das Mortalitätsrisiko an sich schon erhöhen. Hieraus resultiert letztlich, dass Patienten mit einer schweren Demenz früher versterben.
Kann man vorbeugen? Helfen Kreuzworträtsel?
Generell gilt: alles, was das Gefäßsystem gesund hält, schützt auch das Gehirn. Das heißt, wer etwas gegen seinen Bluthochdruck tut, seinen Diabetes im Griff hat – oder noch besser: beides gar nicht erst entstehen lässt –, nicht raucht, sich gesund ernährt und sich regelmäßig bewegt sorgt schon vor. Es gibt aber ebenso Hinweise dafür, dass soziale Kontakte bzw. die Interaktion mit anderen ein wichtiger Schutzfaktor ist.
„Kreuzworträtsel schaden nicht, sie haben aber den Nachteil, dass hierbei lediglich „altes“ Wissen abgefragt wird.“
Eine neue Lernerfahrung entsteht beim Rätseln also nicht. Genau das scheint aber wichtig zu sein. Also empfiehlt es sich, bis ins höhere Alter neugierig zu bleiben und etwas Neues zu lernen, damit es keinen Stillstand im Kopf gibt. Eben weil noch keine Heilung möglich ist, kommt der Prävention eine umso größere Rolle zu! Meines Erachtens ist es wichtig, das Bewusstsein genau hierfür zu schulen.
Apropos kein Stillstand: Wie muss man sich die Arbeit im Bereich klinische Demenzforschung vorstellen?
Seinem Spezialbereich entsprechend würde sicher jeder aus unserer Arbeitsgruppe der Klinik etwas anderes antworten. Ich selbst beschäftige mich aktuell vor allem mit der Bedeutung von körperlichem Training auf die geistige Leistungsfähigkeit – sowohl im Rahmen der Primär- als auch der Sekundärprävention. Wir hoffen, zukünftig hierfür enger mit den Kollegen der Kölner Sporthochschule, die in dem Gebiet schon viel Erfahrung haben, zusammenarbeiten zu können.
Wann hast du entschieden, zusätzlich auch Psychiaterin zu werden und warum?
Das Schöne im Bereich der klinischen Arbeit bzw. der Forschung im Demenzbereich ist, dass Neurologie und Psychiatrie hier eine große Schnittmenge bilden. Es war also tatsächlich eine Entscheidung für ein „Und“, nicht für ein „Oder“. So richtig Feuer gefangen für die Psychiatrie habe ich in meinem Rotationsjahr als Neurologin. Einen ganz entscheidenden Beitrag hierzu hat sicher das wirklich wundervolle Team der Station geleistet, auf der ich 2015 meine Psychiatriezeit begonnen habe. Hier hat einfach alles gestimmt: die Kommunikation zwischen allen beteiligten Berufsgruppen und vor allem auch mit den Patienten. Das Maß menschlicher und fachlicher Kompetenz hat mich wirklich begeistert. Zudem gefällt mir der ganzheitliche Blick, mit dem die Psychiatrie ihre Patienten betrachtet. Über die Arbeitsgruppe der Klinik bekam ich dann die Möglichkeit, nicht nur meinen klinischen Schwerpunkt im Bereich der Demenz zu vertiefen, sondern hier auch wissenschaftlich einzusteigen.
„Ich bin der Meinung, dass sich Psychiater mit dem spannendsten aller menschlichen Organe beschäftigen – auch wenn jetzt wahrscheinlich jeder Kardiologe energisch protestieren wird.“
Was ist das Faszinierende an deinem Beruf?
Psychiatrie ist ein unglaublich vielfältiges Fach. Ich bin der Meinung, dass sich Psychiater mit dem spannendsten aller menschlichen Organe beschäftigen – auch wenn jetzt wahrscheinlich jeder Kardiologe energisch protestieren wird. Wir wissen zwar schon eine Menge darüber, wie das Gehirn funktioniert, aber natürlich längst nicht alles. Und selbst das, was wir wissen, verstehen wir zu großen Teilen noch nicht vollständig. Dennoch haben wir inzwischen die Möglichkeit, viele Krankheitsbilder gut behandeln zu können. Ich persönlich finde es einfach faszinierend, psychische Phänomene – zumindest teilweise – neurobiologisch erklären zu können. Symptome werden so greifbar und im Idealfall lassen sich über dieses Wissen entsprechende Behandlungsstrategien erarbeiten.
Jetzt hat es dich gepackt und du willst wissen, wie du Psychiater werden kannst? Wir haben für dich alle Fakten zusammengestellt!