Interview
Schon mal was von einem Positronen-Emissions-Tomografen oder von Computational Neuroscience gehört? Nein, du siehst dir nicht den neuesten Weltraum-Hollywood-Blockbuster an, sondern befindest dich direkt im Zentrum der spannendsten Forschungsdisziplin der Medizin. Ja, in der Psychiatrie kommt schon heute allerhand abgefahrene Technik zum Einsatz. Andreas Meyer-Lindenberg leitet das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, eines der führenden Forschungsinstitute in Deutschland. Vision oder Wirklichkeit – er weiß, was die Hot Topics in der Psychiatrieforschung sind.
Herr Meyer-Lindenberg, bei Star Trek gibt es einen medizinischen Tricorder, der Krankheiten diagnostiziert. Haben Sie auch schon bald ein ähnliches Tool?
Tatsächlich bewegt sich die Forschung im Eiltempo in Richtung Zukunft. Die moderne Bildgebung erlaubt es uns zum Beispiel, psychische Erkrankungen besser zu verstehen – und zum Teil sogar vorherzusagen. Mit Hilfe der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomografie, kurz fMRT, können wir etwa feststellen, was bei den Patienten in den verschiedenen Hirnarealen passiert und inwiefern diese anders zusammenarbeiten.
Hat die Forschung dabei auch mehr über den Hippocampus herausgefunden?
Aber klar. Zum Beispiel wurde vor kurzem entdeckt, dass der Hippocampus nicht nur das GPS-System des Gehirns darstellt, das mir sagt, wo ich bin. Er repräsentiert sogar unsere sozialen Netzwerke und weiß, mit wem ich unterwegs bin. Auch die Zusammenarbeit der Hippocampi mit anderen Hirnregionen ist für Erkrankungen wie die Schizophrenie von großer Bedeutung.
Ist es heute möglich, ins Hirn hineinzublicken?
Ja, mit einer absoluten Hightech-Methode: Mit Hilfe der sogenannten Positronen-Emissions-Tomografie (PET) können wir winzige Mengen radioaktiv markierter Moleküle im Körper verfolgen und sehen, welche neurochemischen Veränderungen der Erkrankung zugrunde liegen. Kombinieren wir diese Methode mit der fMRT, erkennen wir auch noch, wie sich diese Veränderungen auf die Hirnfunktion auswirken. Diese Einblicke sind immens wichtig, um neue Wirkstoffe auszumachen und direkt festzustellen, ob und wie eine Therapie anschlägt.
„Selbsttrainierenden Algorithmen spüren Muster auf, die sich für eine passgenaue Therapie nutzen lassen.“
Wie können wir uns das vorstellen?
Mit den neuen Bildgebungsmethoden können wir zum Beispiel seit kurzem auch Entzündungen im Hirn entdecken. Dadurch häufen sich Hinweise, dass ein Teil schwerer psychischer Erkrankungen wie etwa Schizophrenie und Depression mit einer solchen Entzündung einhergehen – und sich möglicherweise auch als solche behandeln lassen.
Bei diesen Untersuchungen entstehen bestimmt riesige Datenberge, wie finden sich Wissenschaftler darin zurecht?
Wir müssen alle Ergebnisse zusammenführen: die Hirnaufnahmen, die Daten aus dem Bereich der Moleküle und Proteine sowie die aus dem realen Leben der Patienten. Im nächsten Schritt werden die wichtigen Informationen herausdestilliert. Das machen wir mit selbsttrainierenden Algorithmen. Sie spüren Muster auf, die sich für eine passgenaue Therapie nutzen lassen. Man spricht auch von Machine Learning; das Fachgebiet heißt Computational Neuroscience. Schon jetzt bringen wir so für eine einzige Person über zehn Millionen genetische Varianten mit Umwelteinflüssen – wie Traumata und Lebensereignisse – sowie klinischen und Bildgebungsdaten zusammen. Dieser Big-Data-Ansatz hat das Potenzial, unsere Diagnostik und auch unser Konzept von psychischen Erkrankungen von Grund auf zu verändern.
Was hat die Forschung sonst noch in petto?
Wir können heute auch echte Nervenzellen im Labor beobachten: Aus einer Blutprobe oder Haaren von Patienten züchten wir in der Petrischale Nervenzellen und nehmen sie anschließend unter die Lupe. Die entnommenen Zellen lassen sich „reprogrammieren“ und so in den embryonalen Zustand zurückversetzen. Das erlaubt uns, Veränderungen bei bestimmten psychischen Erkrankungen wie etwa Schizophrenie und ADHS, die zu rund 80 Prozent mit den Genen verknüpft sind, zu untersuchen. Wir können künftig sogar „Minigehirne“ daraus entwickeln und erforschen, inwiefern die Zellen anders interagieren. Ein Fernziel wäre auch, irgendwann in der Zukunft Nervenzellen bei bestimmten Erkrankungen regenerieren und ersetzen zu können.
„Wir können heute auch echte Nervenzellen im Labor beobachten.“
Und wie verschaffen Sie sich einen Einblick in das soziale Verhalten? Wir Menschen sind mehr als unser Hirn. Wir haben Familie, Freunde, Kollegen um uns herum.
Die soziale Einbindung ist ein ganz wichtiger Aspekt. Viele psychische Erkrankungen gehen mit einer eingeschränkten sozialen Kompetenz einher. Betroffene zum Beispiel, die Autismus, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, Schizophrenie oder Depression haben, leiden besonders darunter, dass es ihnen schwerfällt, Freundschaften zu knüpfen oder Partner zu finden. Die soziale Kompetenz ist zudem der wichtigste Faktor, um das Risiko für psychische Erkrankungen vorhersagen zu können. Um diese zu untersuchen, haben wir sogar auch eine Technologie: Beim Hyperscanning können wir messen, wie die Hirne zweier Personen, die zusammen in einem Scanner liegen, zusammenarbeiten. Wir erhalten dabei wertvolle Informationen über das soziale Miteinander und wie es sich auf das Gehirn auswirkt – und natürlich umgekehrt.
Neben dem sozialen Aspekt spielt es eine große Rolle, wie sich Betroffene ihrem Leben stellen. Was können Smartphones und Smartwatches dabei leisten
Gesundheits-Apps bieten sehr viel Potenzial für Diagnose und Therapie. Wenn sich ein Angstpatient davor fürchtet, in ein Kaufhaus zu gehen, können wir zum Beispiel im Rahmen der Expositionstherapie verfolgen, ob er es auch allein geschafft hat. Mehr noch, wir können seine psychische Befindlichkeit dabei messen. Verbindet man das noch mit spielerischen Elementen, haben die Patienten auch mehr Spaß daran, selbst zu üben und zu testen, wie es ihnen in bestimmten Situationen ergeht. Eine App könnte Frühwarnsymptome wie weniger Schlaf und vermehrte Aktivität anzeigen – oder auch eine sich anbahnende Depression erkennen. Das ermöglicht Betroffenen, sich rechtzeitig an ihren Psychiater zu wenden und behandeln zu lassen.
„Die Zukunft hat in der Psychiatrieforschung schon längst begonnen.“
Es gibt also faszinierende „Werkzeuge“, um der Biologie von psychischen Erkrankungen auf den Grund zu gehen. Welchen Stellenwert hat da die Psychotherapie?
Die Psychotherapie ist in der Behandlung unverzichtbar und wird es auch bleiben. Aber letztlich ist auch die soziale Interaktion zwischen Menschen Teil der Biologie: Dazu gehört auch die Beziehung zwischen Arzt, Therapeut und Patient. Die Grenzen zwischen Psychologie und Biologie verschwimmen. Gerade die funktionelle Bildgebung ermöglicht uns, zu verstehen, wie sich psychotherapeutisches Vorgehen auf das Gehirn auswirkt, und damit individuell auf den Patienten zugeschnittene Psychotherapieprogramme zu entwickeln.
Was denken Sie: Wie wird ein Patient in zehn Jahren behandelt?
Die Zukunft hat in der Psychiatrieforschung schon längst begonnen. Sie nähert sich einer Präzisionsmedizin an – sowohl von molekularer als auch psychotherapeutischer Seite. Im Moment stellen wir Diagnosen. Die Therapie von Menschen mit einer chronischen Depression zum Beispiel ist in einer Behandlungsanleitung – wir Ärzte nennen das „Manual“ – festgehalten, nach dem wir verfahren. Es ist aber nicht auf den einzelnen Patienten ausgerichtet. Wir müssen weg von den Manualen. Die neuen „Werkzeuge“ ermöglichen eine individuelle Diagnostik und damit auch eine individuelle Therapie.
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Bilder: Claudia Burger