Im Hippocampus leben keine Nilpferde.

Auch Seepferdchen planschen hier nicht. Der Hippocampus sitzt mitten in unserem Kopf. Er ordnet und verarbeitet in einer Tour, sodass sich nichts ins Gehege kommt: Sinneseindrücke schickt er durch den Filter, Informationen in den Langzeitspeicher. Auf der Suche nach Therapien gegen psychische Erkrankungen, erforschen Psychiater auch dieses Territorium. Bist du bereit für die Safari durchs Gehirn?

Interview

Schon mal was von einem Positronen-Emissions-Tomografen oder von Computational Neuroscience gehört? Nein, du siehst dir nicht den neuesten Weltraum-Hollywood-Blockbuster an, sondern befindest dich direkt im Zentrum der spannendsten Forschungsdisziplin der Medizin. Ja, in der Psychiatrie kommt schon heute allerhand abgefahrene Technik zum Einsatz. Andreas Meyer-Lindenberg leitet das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, eines der führenden Forschungsinstitute in Deutschland. Vision oder Wirklichkeit – er weiß, was die Hot Topics in der Psychiatrieforschung sind.

Herr Meyer-Lindenberg, bei Star Trek gibt es einen medizinischen Tricorder, der Krankheiten diagnostiziert. Haben Sie auch schon bald ein ähnliches Tool?
Tatsächlich bewegt sich die Forschung im Eiltempo in Richtung Zukunft. Die moderne Bildgebung erlaubt es uns zum Beispiel, psychische Erkrankungen besser zu verstehen – und zum Teil sogar vorherzusagen. Mit Hilfe der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomografie, kurz fMRT, können wir etwa feststellen, was bei den Patienten in den verschiedenen Hirnarealen passiert und inwiefern diese anders zusammenarbeiten.

Hat die Forschung dabei auch mehr über den Hippocampus herausgefunden?
Aber klar. Zum Beispiel wurde vor kurzem entdeckt, dass der Hippocampus nicht nur das GPS-System des Gehirns darstellt, das mir sagt, wo ich bin. Er repräsentiert sogar unsere sozialen Netzwerke und weiß, mit wem ich unterwegs bin. Auch die Zusammenarbeit der Hippocampi mit anderen Hirnregionen ist für Erkrankungen wie die Schizophrenie von großer Bedeutung.

Ist es heute möglich, ins Hirn hineinzublicken?
Ja, mit einer absoluten Hightech-Methode: Mit Hilfe der sogenannten Positronen-Emissions-Tomografie (PET) können wir winzige Mengen radioaktiv markierter Moleküle im Körper verfolgen und sehen, welche neurochemischen Veränderungen der Erkrankung zugrunde liegen. Kombinieren wir diese Methode mit der fMRT, erkennen wir auch noch, wie sich diese Veränderungen auf die Hirnfunktion auswirken. Diese Einblicke sind immens wichtig, um neue Wirkstoffe auszumachen und direkt festzustellen, ob und wie eine Therapie anschlägt.

„Selbsttrainierenden Algorithmen spüren Muster auf, die sich für eine passgenaue Therapie nutzen lassen.“

Wie können wir uns das vorstellen?
Mit den neuen Bildgebungsmethoden können wir zum Beispiel seit kurzem auch Entzündungen im Hirn entdecken. Dadurch häufen sich Hinweise, dass ein Teil schwerer psychischer Erkrankungen wie etwa Schizophrenie und Depression mit einer solchen Entzündung einhergehen – und sich möglicherweise auch als solche behandeln lassen.

Bei diesen Untersuchungen entstehen bestimmt riesige Datenberge, wie finden sich Wissenschaftler darin zurecht?
Wir müssen alle Ergebnisse zusammenführen: die Hirnaufnahmen, die Daten aus dem Bereich der Moleküle und Proteine sowie die aus dem realen Leben der Patienten. Im nächsten Schritt werden die wichtigen Informationen herausdestilliert. Das machen wir mit selbsttrainierenden Algorithmen. Sie spüren Muster auf, die sich für eine passgenaue Therapie nutzen lassen. Man spricht auch von Machine Learning; das Fachgebiet heißt Computational Neuroscience. Schon jetzt bringen wir so für eine einzige Person über zehn Millionen genetische Varianten mit Umwelteinflüssen – wie Traumata und Lebensereignisse – sowie klinischen und Bildgebungsdaten zusammen. Dieser Big-Data-Ansatz hat das Potenzial, unsere Diagnostik und auch unser Konzept von psychischen Erkrankungen von Grund auf zu verändern.

Was hat die Forschung sonst noch in petto?
Wir können heute auch echte Nervenzellen im Labor beobachten: Aus einer Blutprobe oder Haaren von Patienten züchten wir in der Petrischale Nervenzellen und nehmen sie anschließend unter die Lupe. Die entnommenen Zellen lassen sich „reprogrammieren“ und so in den embryonalen Zustand zurückversetzen. Das erlaubt uns, Veränderungen bei bestimmten psychischen Erkrankungen wie etwa Schizophrenie und ADHS, die zu rund 80 Prozent mit den Genen verknüpft sind, zu untersuchen. Wir können künftig sogar „Minigehirne“ daraus entwickeln und erforschen, inwiefern die Zellen anders interagieren. Ein Fernziel wäre auch, irgendwann in der Zukunft Nervenzellen bei bestimmten Erkrankungen regenerieren und ersetzen zu können.

„Wir können heute auch echte Nervenzellen im Labor beobachten.“

Und wie verschaffen Sie sich einen Einblick in das soziale Verhalten? Wir Menschen sind mehr als unser Hirn. Wir haben Familie, Freunde, Kollegen um uns herum.
Die soziale Einbindung ist ein ganz wichtiger Aspekt. Viele psychische Erkrankungen gehen mit einer eingeschränkten sozialen Kompetenz einher. Betroffene zum Beispiel, die Autismus, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, Schizophrenie oder Depression haben, leiden besonders darunter, dass es ihnen schwerfällt, Freundschaften zu knüpfen oder Partner zu finden. Die soziale Kompetenz ist zudem der wichtigste Faktor, um das Risiko für psychische Erkrankungen vorhersagen zu können. Um diese zu untersuchen, haben wir sogar auch eine Technologie: Beim Hyperscanning können wir messen, wie die Hirne zweier Personen, die zusammen in einem Scanner liegen, zusammenarbeiten. Wir erhalten dabei wertvolle Informationen über das soziale Miteinander und wie es sich auf das Gehirn auswirkt – und natürlich umgekehrt.

Neben dem sozialen Aspekt spielt es eine große Rolle, wie sich Betroffene ihrem Leben stellen. Was können Smartphones und Smartwatches dabei leisten
Gesundheits-Apps bieten sehr viel Potenzial für Diagnose und Therapie. Wenn sich ein Angstpatient davor fürchtet, in ein Kaufhaus zu gehen, können wir zum Beispiel im Rahmen der Expositionstherapie verfolgen, ob er es auch allein geschafft hat. Mehr noch, wir können seine psychische Befindlichkeit dabei messen. Verbindet man das noch mit spielerischen Elementen, haben die Patienten auch mehr Spaß daran, selbst zu üben und zu testen, wie es ihnen in bestimmten Situationen ergeht. Eine App könnte Frühwarnsymptome wie weniger Schlaf und vermehrte Aktivität anzeigen – oder auch eine sich anbahnende Depression erkennen. Das ermöglicht Betroffenen, sich rechtzeitig an ihren Psychiater zu wenden und behandeln zu lassen.

„Die Zukunft hat in der Psychiatrieforschung schon längst begonnen.“

Es gibt also faszinierende „Werkzeuge“, um der Biologie von psychischen Erkrankungen auf den Grund zu gehen. Welchen Stellenwert hat da die Psychotherapie?
Die Psychotherapie ist in der Behandlung unverzichtbar und wird es auch bleiben. Aber letztlich ist auch die soziale Interaktion zwischen Menschen Teil der Biologie: Dazu gehört auch die Beziehung zwischen Arzt, Therapeut und Patient. Die Grenzen zwischen Psychologie und Biologie verschwimmen. Gerade die funktionelle Bildgebung ermöglicht uns, zu verstehen, wie sich psychotherapeutisches Vorgehen auf das Gehirn auswirkt, und damit individuell auf den Patienten zugeschnittene Psychotherapieprogramme zu entwickeln.

Was denken Sie: Wie wird ein Patient in zehn Jahren behandelt?
Die Zukunft hat in der Psychiatrieforschung schon längst begonnen. Sie nähert sich einer Präzisionsmedizin an – sowohl von molekularer als auch psychotherapeutischer Seite. Im Moment stellen wir Diagnosen. Die Therapie von Menschen mit einer chronischen Depression zum Beispiel ist in einer Behandlungsanleitung – wir Ärzte nennen das „Manual“ – festgehalten, nach dem wir verfahren. Es ist aber nicht auf den einzelnen Patienten ausgerichtet. Wir müssen weg von den Manualen. Die neuen „Werkzeuge“ ermöglichen eine individuelle Diagnostik und damit auch eine individuelle Therapie.

 

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Bilder: Claudia Burger

Lexikon

Hippocampus – das kommt aus dem Lateinischen und heißt „Seepferdchen“. Ja, damit sind tatsächlich die kleinen Meeresbewohner gemeint. Doch was haben die niedlichen Fischchen mit unserem Gehirn zu tun? Dazu müssen wir einen Blick in die Geschichtsbücher der Medizin werfen. Im 16. Jahrhundert stieß der venezianische Anatom Julius Caesar Arantius bei seinen Untersuchungen auf eine Hirnstruktur, die ihn in ihrer Form an ein Seepferd erinnerte – und seitdem begleitet uns der Begriff. Allerdings war man sich damals noch nicht bewusst, welch wichtige Rolle der Hippocampus erfüllt.

Zwei in jedem Kopf
Die Fakten vorab: Jeder Mensch hat nicht nur einen Hippocampus, sondern gleich zwei – in jeder Gehirnhälfte einen, also links und rechts. Könnten wir das Großhirn horizontal aufklappen, so würden sich die beiden Hippocampi etwa auf Höhe der Augen als gebogene Gebilde zeigen, deren Form an Seepferdchen erinnert. Jeder Hippocampus wird – Achtung: jetzt wird’s anatomisch kompliziert – in drei Strukturen unterteilt: Die erste ist der Gyrus dentatus, dann folgt der Cornu Ammonis und schließlich das Subiculum. Alle drei bestehen aus plattenartigen Schichten von Nervenzellen. Daneben sind beide Hippocampi über zahlreiche Verbindungen mit den benachbarten Hirnarealen verknüpft.

Smarte Datenverarbeitung
Der Hippocampus ist sozusagen die Poststelle in unserem Gehirn. Im Gyrus fließen alle Informationen von unseren Sinnesorganen zusammen – also all das, was wir sehen, hören, schmecken, riechen, aber auch unsere Gefühle und die Signale, die von unserem Körper selbst ausgehen. Dabei trifft in jeder Sekunde eine solch immense Datenmenge ein, dass der Hippocampus eine Auswahl treffen muss. Das geschieht im Cornu Ammonis, der die Informationen nonstop nach Wichtigkeit, Dringlichkeit und Neuigkeit sortiert und einordnet – oder falls sie keinem der Kriterien entsprechen auch einfach wegwirft. Alles mit dem Label „wertvoll“ leitet das Subiculum an die dafür zuständigen Hirnareale der Großhirnrinde weiter, wo schließlich die Speicherung der Information erfolgt. Dieses Verschieben von Informationen aus dem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis ist die wichtigste Aufgabe des Hippocampus. Für die eigentliche Gedächtnisbildung ist er allerdings nicht zuständig.

Der Hippocampus ist sozusagen die Poststelle in unserem Gehirn.

Gleichzeitig ist der Hippocampus Bestandteil des limbischen Systems. Dieses steuert nicht nur ein Teil unserer Emotionen wie Angst, Liebe, Trauer, Wut und Lust, sondern sorgt auch dafür, dass wir neue Dinge lernen können. Genaugenommen stellt das limbische System keine anatomische, sondern eine funktionale Einheit dar. Es besitzt viele Zentren und Komponenten, etwa die Amygdala, mit welcher der Hippocampus eng verknüpft ist. Die Amygdala ist vor allem dann im Spiel, wenn wir uns fürchten oder ärgern. Bei Gefahr setzt sie unseren Körper in Alarmbereitschaft und sorgt dafür, dass uns das Herz bis zum Halse klopft. Noch bevor unser Verstand eine Gefahrensituation beurteilen kann, reagiert sie blitzschnell und schüttet die entsprechenden Alarmhormone aus, die uns auf einen Schlag hellwach machen. Ganz schön clever!

Natürlich könnten wir noch viel tiefer ins Detail gehen. Allein der Aufbau und Funktion des Hippocampus füllt ganze Bücher. Wichtig zu wissen ist aber vor allem eines: Der Hippocampus spielt eine wichtige Rolle, wenn es um die seelische Gesundheit geht. Die Wissenschaft weiß heute, dass viele psychische Erkrankungen direkt mit Störungen im limbischen System zusammenhängen. So führen Schädigungen des Hippocampus zu temporärem oder chronischem Gedächtnisverlust.

Rätselhaftes Zellsterben
Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass der Hippocampus als eines der ersten Areale von der Alzheimerkrankheit betroffen ist. Alzheimer ist eine Form der Demenz, bei der sich Proteine im Gehirn fehlerhaft zusammenfalten und miteinander verkleben. Die Folge: Die Betroffenen kämpfen mit immer stärker werdenden Gedächtniseinbußen. Mit der Zeit lässt zudem nicht nur ihre zeitliche und räumliche Orientierung nach, sondern auch ihre emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Nach und nach driften sie in das totale Vergessen ab.

Der Hippocampus spielt eine wichtige Rolle, wenn es um die seelische Gesundheit geht.

Doch schon lange bevor aus leichten Gedächtnisstörungen Alzheimer wird, gehen im Hippocampus wichtige Zellen verloren. Im Vergleich zu gesunden Menschen haben manche Alzheimerpatienten schon zu Beginn der Erkrankung auffallend kleine Hippocampus-Areale. Psychiatrieforscher in der ganzen Welt gehen diesem Zusammenhang nun nach. Sie hoffen, die Verkümmerung des Hippocampus durch pharmazeutische Wirkstoffe aufhalten zu können und so ein Mittel gegen Alzheimer zu finden.

Die Rückbildung des Hippocampus wurde aber nicht nur bei Alzheimer beobachtet. Wissenschaftler haben das Phänomen auch bei anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen festgestellt. Warum das so ist, weiß man nicht mit Sicherheit. Deshalb versucht die moderne Forschung diesem Rätsel auf die Spur zu kommen. Dabei ist eine Erkenntnis besonders vielversprechend: Neuerdings weiß man, dass der Hippocampus einer der wenigen Orte im Gehirn ist, in dem zeitlebens neue Nervenzellen geboren werden. Noch ist nicht klar, wozu diese Neurogenese gut ist. Um das herauszufinden und die vielen weiteren Mysterien des menschlichen Gehirns zu erforschen, braucht die Wissenschaft viele kluge Köpfe!

 

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Interview

Dem Gehirn regelrecht beim Arbeiten zusehen – Hightech macht es möglich. So lassen sich auch psychische Erkrankungen immer besser erklären. Auf der Suche nach neuen Therapien und Wirkstoffen erkunden Psychiatrieforscher nicht nur den Hippocampus, wie Marc Augustin zu berichten weiß. Er ist Assistenzarzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Aachen und gehört zum Kernteam der Generation PSY.

Hippocampus, Amygdala, Zingulum: Wer diese Begriffe hört, wähnt sich eher im Zoo als in der Psychiatrie. Worum geht es da?
Zugegeben, das musste ich auch erst mal lernen. Alle drei sind Hirnstrukturen. Der Hippocampus ist für das Gedächtnis verantwortlich, die Amygdala vor allem für Gefühle und Emotionen und das Zingulum dient unter anderem dazu, dass wir Dinge durchdenken und Handlungen planen können. Heute wissen wir, dass – vereinfacht gesagt – Störungen dieser Hirnregionen auch mit psychischen Erkrankungen zusammenhängen: der Hippocampus zum Beispiel mit Demenz, die Amygdala mit Angststörungen und das Zingulum mit Schizophrenie und ADHS.

Die Psychiatrie dreht sich also auch ums Gehirn?
Ja, ein Psychiater ist in gewisser Hinsicht ein „Kopfdoktor“. Zwar geht es in unserem Fach um das gesamte Umfeld: Wie und in welchem Umfeld lebt der psychisch erkrankte Mensch, was denkt und fühlt er? Doch letztlich geht die Forschung davon aus, dass psychische Störungen Erkrankungen des Gehirns sind. In der Weiterbildung zum Psychiater arbeitet man deshalb auch ein Jahr in der Neurologie, also dem ärztlichen Spezialgebiet für Nerven und Gehirnerkrankungen.

„Ein Psychiater ist in gewisser Hinsicht ein ‚Kopfdoktor‘.“

Dann hast du die berühmte Couch in deinem Joballtag noch gar nicht oft angetroffen?
Die Couch, wie man sie sich bei Freud vorstellt, gibt es tatsächlich selten. In der Psychotherapie liegen die Patienten heute nicht mehr, sie sitzen. Als Psychiater wollen wir ja mit unseren Patienten in Kontakt treten und eine therapeutische Beziehung aufbauen.

Dabei ist Sprechen wichtig, oder?
Ja, auf jeden Fall – aber es geht nicht zwangsläufig darum, dass ich den ganzen Tag auf meine Patienten einrede. Ich muss vor allem auch gut zuhören: Was erzählt mir der Patient, was berichtet seine Familie, was sagen andere Ärzte? Während in manchen Disziplinen operiert oder Katheter gelegt werden, reden wir Psychiater vor allem. Aber wie wir sprechen, was wir sagen, das ist elementar. Psychiater lernen, wie sie kommunizieren, wie sie die richtigen Fragen stellen und die Gespräche strukturieren, um ihren Patienten dadurch zu helfen.

Wie wir sprechen, was wir sagen, das ist elementar.“

Wie stellst du eigentlich eine Diagnose, wenn du zum ersten Mal auf einen Patienten triffst?
Zunächst führe ich ein ausführliches Gespräch mit ihm. Warum kommt er in die Ambulanz, welche Beschwerden hat er, wie lebt er, was belastet und was hilft ihm? Es gibt für psychische Erkrankungen klare Kriterien, die in international anerkannten Diagnosesystemen festgehalten sind. Vermute ich zum Beispiel eine Depression, frage ich ganz bestimmte Symptome ab – wie Antriebslosigkeit, Schlafstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten. Auf dieser Basis stelle ich letztlich eine Diagnose. Diese Aufgabe ist mit großer Verantwortung verbunden. Als Psychiater darf ich nie vorschnell eine Diagnose stellen, muss immer kritisch bleiben, mich selbst hinterfragen und überlegen, ob Kriterien, die ja letztlich von einer Gemeinschaft festgelegt wurden, wirklich passen und erfüllt sind.

Und wohin bewegt sich die Forschung? Was forscht man in der Psychiatrie? Und wie?
Die Forschung erstreckt sich über das gesamte Spektrum des Faches. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wo Menschen mit psychischen Erkrankungen am besten behandelt werden: ambulant, tagesklinisch oder stationär? Andere Forscherteams suchen nach Methoden, um die Wirkung von Psychotherapie zu verstärken. Gleichzeitig suchen Wissenschaftler nach neuen Wirkstoffen, die die Basis von neuen Medikamenten bilden können. Und natürlich geht es auch darum, den Ursachen von psychischen Erkrankungen noch besser auf die Spur zu kommen, zum Beispiel mit modernen Verfahren der Bildgebung. Dabei untersuchen wir das Gehirn und die Aktivität von einzelnen Bereichen, indem wir etwa den Blutfluss ganz genau messen. So lässt sich beobachten, wie wir Gefühle verarbeiten, welche Hirnbereiche sich bei chronischen Schmerzstörungen verändern oder mit Suchtverhalten in Zusammenhang stehen.

„In machen Labors sieht es aus wie bei Star Trek.“

Kommt auch Hightech zum Einsatz? Wie muss man sich das vorstellen?
Ja, in machen Labors sieht es aus wie bei Star Trek. Gerade in der Bildgebung kommen super moderne Apparate zum Einsatz. Um die Aktivität einzelner Hirnregionen genauer zu untersuchen, nutzen wir zum Beispiel die funktionelle Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT). Das ist ein richtig großes Gerät, das einen ganzen Raum einnimmt, mit einem supraleitenden Magneten, der durch Helium konstant gekühlt wird. Mit diesem Gerät können wir das Gehirn millimetergenau darstellen. Mit anderen Geräten wie dem Positronen-Emissions-Tomografen (PET) lassen sich Rezeptoren von Botenstoffen, etwa Dopamin, darstellen. Diese Untersuchungen helfen – grob gesagt – den Hirnstoffwechsel genauer zu untersuchen. Mit der Elektroenzephalografie (EEG) kann die elektrische Aktivität des Gehirns aufgezeichnet werden.

Inwiefern können Psychiater Menschen in den Kopf schauen?
Mit den erwähnten Techniken können wir die Strukturen und Funktionsweisen des Gehirns heute schon relativ gut darstellen. Wirklich in den Kopf schauen, vorhersagen, wie es jemandem geht oder wie er sich fühlt, das können wir aber nicht. Denn wir haben es mit dem ganzen Menschen und seiner Geschichte zu tun, und nicht nur mit Rezeptoren, Nerven und Gehirnströmen. Dass jeder Mensch einzigartig ist und das Seelische bei der ganzen heutigen medizinischen Technologie nicht verloren geht, ist für mich ein wichtiger Aspekt der Psychiatrie.

Welches Forschungsthema fasziniert dich am meisten?
Eine wichtige Frage ist für mich, wie lange und in welcher Dosis wir Menschen mit Medikamenten wie Antidepressiva und Antipsychotika behandeln. Wer jemals einen Patienten gesehen hat, der Stimmen hört und sich verfolgt fühlt oder in tiefster Depression versunken ist, der versteht, dass in diesen Fällen Medikamente enorm hilfreich sind. Aber wie lange eine Behandlung sinnvoll ist, wie die Medikamente das Gehirn beeinflussen, wann man reduzieren oder sogar absetzen kann, das ist bisher häufig Erfahrungswissen und noch nicht genau untersucht.

„Als Psychiater müssen wir auch immer in Beziehung mit unseren Patienten treten. “

Was glaubst du, wie sieht Psychiatrie im Jahr 2057 aus?
Der Patient wird auch dann noch von einem richtigen Arzt behandelt. Alles Digitale kann ihn zwar unterstützen, aber nicht ersetzen. Denn als Psychiater müssen wir auch immer in Beziehung mit unseren Patienten treten. Wir werden hoffentlich über neue, besser verträgliche Medikamente verfügen und die Ursachen vieler psychischer Erkrankungen besser verstehen. Ich kann mir vorstellen, dass es der Psychiatrie ganz gut geht im Gegensatz zu den medizinischen Fächern, die von Algorithmen, Computerassistenzsystemen und Robotern durchdrungen sind.

Wie kann man eine Karriere in der Psychiatrieforschung einschlagen?
Man sollte mit offenen Augen und Ohren durch den ärztlichen Alltag gehen, neugierig bleiben, sich Fragen stellen und die Breite des Faches anschauen. Gut geeignet ist dafür zum Beispiel eine Veranstaltung wie der DGPPN Kongress. Junge Psychiater sollten sich unbedingt die Zeit nehmen, um herauszufinden, welche Schwerpunkte sie besonders interessieren und welche Forschungsmethoden es gibt. Und wenn man das Richtige gefunden hat, dann muss man mit Herzblut dranbleiben.

Was waren deine Erwartungen an den Beruf und wovon warst du überrascht?
Ich fühlte mich durch Famulaturen und das PJ relativ gut vorbereitet darauf, wie der berufliche Alltag aussieht. Positiv überrascht war ich vom Ausmaß der Teamarbeit sowie der Dankbarkeit der Patienten. Ich mag die Schnittstellen von Medizin, Philosophie, Gesellschaft und Rechtswesen, denen man in der Psychiatrie begegnet. Wirklich negative Überraschungen gab es nicht – als Assistenzarzt ist man für einige Jahre in Ausbildung und das bedeutet eben auch Seminare am Wochenende und Dienste am Feiertag.

Kongress hat er gesagt … Für die einen ist es der DGPPN Kongress, für die anderen das Über-Event.