Unter vier Augen

Und das sind die Aussichten

Notfallpatient Erde: Die Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, gefährden nicht nur unsere Lebensgrundlagen, sondern auch die psychische Gesundheit. Wie gehen wir mit dieser hochemotionalen Situation um und was gilt es, jetzt zu tun?
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Diese Fragen treiben auch Andreas Meyer-Lindenberg und die Klimapsychologin Lea Dohm um.

AML: Frau Dohm, wir haben uns in diesem Klimakontext schon des Öfteren gesehen und werden das auch weiter tun. Als Mitgründerin von Psychologists/Psychotherapists for Future, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), Journalistin und Autorin beschäftigen Sie sich mit der Frage, wie wir auf gesunde Art und Weise mit den Gefühlen in Bezug auf die Klimakrise umgehen und sie in konstruktive Handlungen übersetzen. Warum ist das so ein wesentliches Thema für Sie?

LD: Weil mir persönlich die Klimakrise und die ökologischen Krisen große Sorgen bereiten und es mir nicht gut damit geht. Mein Engagement ist mein persönlicher Coping-Mechanismus.

AML: Da sind wir auch schon mittendrin: Was kann man gegen diese Ohnmachtsgefühle tun? Wir haben in der DGPPN die Task-Force „Klima und Psyche“ ins Leben gerufen, um uns damit auseinanderzusetzen. Entstanden ist daraus einerseits die sogenannte „Berliner Erklärung“ – eine Selbstverpflichtung des Fachs „Psychiatrie und Psychotherapie“ mit Forderungen, die wir an die Politik gerichtet haben. Zusätzlich gab es auch ein Positionspapier zum Thema „Klimawandel und psychische Gesundheit“, in dem es um die Mechanismen und die Folgen sowie eine gewisse Psychopathologie ging. Stichwörter sind hier Klimaangst oder auch Eco-Distress. Dies wurde als ein mögliches Forschungsthema definiert. Ich glaube, Sie sind hier etwas anderer Meinung?

LD: Ja, ich bin über die Psychopathologie gestolpert, weil es aus meiner Sicht eine berechtigte und normale Reaktion auf ein reales Problem ist, und Gefühle an sich erst einmal nichts Pathologisches haben. Wenngleich ich Ihnen zustimme, dass es ein Forschungsthema ist – im Übrigen nicht nur die Angst, sondern alle „Klimagefühle“, wie auch in meinem gleichnamigen Buch beschrieben. Fachlich korrekter wäre der Begriff „Transformationserleben“. Und es betrifft letztlich alle ökologischen Krisen, die darauffolgenden gesellschaftlichen Probleme und die daraus entstehenden psychischen Belastungen. Das erachte ich als wichtiges Forschungsfeld, auch wenn ich die Aufgabe der Psychotherapie und der Psychiatrie und auch der Wissenschaft verstärkt an anderer Stelle sehe.

AML: In der Tat richtig: Angst hat einen Sinn. Ohne Angst würden wir nichts ändern, denn sie löst Fight-or-Flight- Reaktionen aus. Im therapeutischen Kontext kommt sie vor, wenn sie hilflos macht, das Leben einschränkt und zum Risikofaktor für die Entstehung einer psychischen Erkrankung wird. Angst per se ist also nicht pathologisch, obschon Klimaangst zum Teil eben gerade solche Menschen betrifft, die Symptome und auch Risikofaktoren einer generalisierten Angststörung aufweisen. Über die Unterschiede müssen wir weiter diskutieren und brauchen mehr Daten.

LD: Absolut. Ich stimme auch zu, dass die Heftigkeit oder die Dauer der Angstgefühle ausschlaggebend sind. Bei der Einschränkung der Alltagsbewältigung bin ich mir nicht ganz sicher: Es könnte mit Blick auf Klima und Ökologie sogar ein Vorteil sein, wenn wir unseren Alltag hinterfragen und schauen, wo wir uns entsprechend anpassen müssen.

AML: Das stimmt natürlich. Was wir normalerweise in der Klinik unter Alltagsbewältigung verstehen, ist allerdings eher etwas wie morgens aufstehen, sich waschen, zur Arbeit gehen zu können etc. …

LD: Mir ist niemand bekannt, bei dem oder der allein die durch den Klimawandel ausgelösten Gefühle eine derartige Alltagseinschränkung zur Folge gehabt hätten. Bei den Psychologists for Future haben wir ein kostenfreies Beratungsangebot für Menschen geschaffen, die sich für das Klima engagieren. Wir erhalten jährlich etwa 300 Anfragen und diese Zahl ist weder steigend noch sinkend. Dabei sind klimabedingte Ängste eher gering vertreten, obwohl es hier erwartbar wäre. Stattdessen geht es oft um Konflikte im Familien- oder Bekanntenkreis oder Überlastung aufgrund von zusätzlichem Engagement über den eigentlichen Beruf hinaus, was in der Regel ehrenamtlich geschieht.

AML: Lassen Sie uns doch noch etwas tiefer eintauchen in diese anderen Klimagefühle …

LD: Aus praktischer Erfahrung und aus der Forschung wissen wir, dass im Grunde jedes Gefühl mit dem Klima assoziiert sein kann. Ich empfinde zum Beispiel auch Freude, dass ich ein solches Gespräch mit Ihnen führe. Angst ist das am häufigsten untersuchte und populärste Gefühl in diesem Bereich. Auch Traurigkeit spielt eine Rolle. Stichwort Solastalgie – Panu Pikhala aus Finnland hat dazu viel veröffentlicht. Interessant ist hierbei, dass Traurigkeit zwei Bereiche umfasst: einerseits alles, was man unter Eco Grief zusammenfassen könnte, und andererseits die Traurigkeit, die entsteht, wenn wir uns von vertrauten Alltäglichkeiten verabschieden müssen. Zum Beispiel kann die Entscheidung, nicht mehr in den Urlaub zu fliegen, traurig machen. Als stark handlungsleitende Gefühle sind Wut und Ärger von Vorteil, da sie ein großes motivationsspendendes Potenzial zur Veränderung haben. Es fehlen noch Schuld und Scham: Interessant auch für unser Fach. Allerdings sind sie weniger handlungsleitend, sondern eher für eine innere Auseinandersetzung relevant. Wir müssen anerkennen, dass wir eine große Realschuld tragen. Und dann gibt es noch das große Gefühl namens Hoffnung. Es gilt, gründlich zu prüfen, an welchen Stellen dieses Gefühl berechtigt ist und an welchen nicht. Falsche Hoffnung ist hier genauso wenig hilfreich wie ihr Gegenteil, also die Hoffnungslosigkeit oder innere Kapitulation. Was das Handeln betrifft: Es funktioniert wenig, erst darauf zu warten, bis man hoffnungsfroh ist, um sich dann einzubringen. Im Gegenteil: Hoffnung wird in der Regel nach dem Handeln spürbar.

AML: Das ist bei vielen Resilienzmechanismen so. Wenn man aktiv wird, fühlt man sich danach besser – Stichwort Selbstwirksamkeit. Da wir es mit einem globalen Phänomen zu tun haben, sind viele Menschen entmutigt, bezogen auf die individuelle Wirksamkeit.

LD: Verständlich und umso wichtiger, diesen Menschen wirksame Handlungsmöglichkeiten anzubieten. Hoffnungslosigkeit, Belastungsgefühle und auch Leidensdruck betreffen insbesondere auch Menschen aus Bereichen wie Wissenschaft, Meteorologie oder Journalismus, die sich intensiv mit alldem auseinandersetzen und ständig mit naturwissenschaftlichen Fakten konfrontiert werden. Wenngleich ich wie gesagt nicht denke, dass es etwas Pathologisches ist.

AML: Da geht es jetzt allerdings in die Semantik, denn Leidensdruck und Einschränkung der Alltagsbewältigung sind doch gerade Kriterien für psychische Störungen …

LD: Ja, das kann ich für den Leidensdruck anerkennen, für die Alltagsbewältigung in diesem Fall weniger: Insbesondere diese gerade genannten Personengruppen leisten ja trotz ihrer hoch belastenden Berufstätigkeit oft über lange Zeiten beste Arbeit. Da ist die Alltagsbewältigung nicht eingeschränkt, im Gegenteil: Wir können sie als Musterbeispiel der Resilienz betrachten. Wir können grundsätzlich erwarten, dass die psychische Krankheitslast mit fortschreitendem Klimawandel extrem zunehmen wird. Daher müssen wir überlegen, wie wir dies in der Versorgung bewältigen können; angesichts der Tatsache, dass unsere Versorgungssysteme in Psychiatrie und Psychotherapie bereits jetzt an ihre Grenzen stoßen.

AML: Da haben Sie absolut recht. Neben klimaspezifischen Störungen sind die Auswirkungen von extremen Ereignissen auf die Psyche sehr gut belegt. Diese Effekte sind oft länger anhaltend als das Ereignis selbst. Gesellschaftliche Veränderungen wie Klima-Migration und direkte Effekte wie Hitze haben solide Evidenz. Dennoch fehlt meiner Meinung nach in den Klimamodellen die angemessene Berücksichtigung dieser psychischen Aspekte. Die Klimafolgen-Modellierung fokussiert sich meist auf die körperliche

„Unsere Expertise wird heute gesellschaftlich dringend gebraucht.“ Lea Dohm

Gesundheit, sollte jedoch die psychischen Auswirkungen berücksichtigen, denn letztlich bildet die Folgenbeurteilung die empirische Grundlage für Maßnahmen wie CO2-Bepreisungen. Es erstaunt mich, wie wenig wir die Psyche berücksichtigen, obwohl psychische Erkrankungen häufig und schwerwiegend sind. Diese Unterschätzung verstärkt die Konsequenzen und Folgen des Klimawandels nochmals deutlich, oder?

LD: Ja, absolut, ich bin im hauptamtlichen Team von KLUG die einzige Psychotherapeutin und versuche, die Psyche überall einzubringen, wo es mir nur möglich ist. Viele Menschen stehen bereits heute unter sehr hoher psychischer Belastung. Wenn wir deutlich machen, dass diese mit voranschreitender Klimakrise noch einmal enorm steigen wird, werden Menschen auch außerhalb der typischen grünen „Öko-Bubble“ hellhörig. Gesundheitliche, vor allem auch psychische Risiken sind etwas Verbindendes.

AML: Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen: Unser aktuelles System ist nicht ausreichend auf den Umgang mit solchen Extremereignissen vorbereitet, wie es bei der Flutkatastrophe im Ahrtal deutlich wurde. In den USA gibt es mit den Einrichtungen SAMHSA (Substance Abuse and Mental Health Services Administration) und DTAC (Disaster Technical Assistance Center) eine gute Struktur für psychiatrische Krisenbewältigung. Ich selbst war nach Hurricane Katrina in den USA für die psychotherapeutische Betreuung der Nothelfer im Einsatz. Trotz des engagierten ehrenamtlichen Einsatzes von Psychiatern, Therapeuten und Medizinern sehe ich in Deutschland noch Raum für Verbesserungen. Was meinen Sie?

LD: In den USA gibt es klare Empfehlungen der APA (American Psychological Association) für Katastrophenhilfe, um die psychische Gesundheit angemessen zu berücksichtigen. In Deutschland ist dies noch stark ausbaufähig, und es stellt sich die Frage, wer sich eigentlich darum kümmert. Möglicherweise könnten die Fachverbände diese Aufgabe übernehmen und entsprechende Maßnahmen verankern.

AML: Guter Punkt. Unser Positionspapier und die Erklärung haben wir breit mit unseren Mitgliedern diskutiert. Alle wollen wissen, wie man mit den psychischen Folgen des Klimawandels umgeht und was man in Notfällen macht. Es gibt einen großen Informations- und Koordinationsbedarf.

LD: Und im Hinblick auf das Problembewusstsein ist auch noch einiges zu tun. Ich denke, dass die Notwendigkeit konsequent nachhaltigen Handelns in sämtlichen Lebensbereichen bei den meisten Menschen noch nicht ausreichend klar ist. Es wird als etwas betrachtet, was „irgendwie nett“ wäre, aber die Dringlichkeit und das Ausmaß, wie wir auf diese Weise Leben retten, aber auch psychische Erkrankungen verhindern oder zumindest abmildern können, wird oft nicht erkannt.

AML: Genau, das ist so. Dabei gibt es Dinge, die wir tun können. Es gibt viele Bereiche, in denen nachhaltiges Wirtschaften in der Klinik und in Praxen sinnvoll ist. Medikamente sind eine Hauptkomponente des CO2-Ausstoßes im Gesundheitswesen. Leitliniengerechte Monotherapien wären auch hierfür sinnvoll. Es gibt eine ganze Menge Synergien. Vieles ist sowohl therapeutisch als auch fürs Klima sinnvoll.

„Klimafolgen-Modelle müssen die psychischen Auswirkungen berücksichtigen.“ Andreas Meyer-Lindenberg

LD: Für mich ist das der entscheidende Punkt: Wie kann es gut weitergehen? Wenn wir in die Zukunft schauen im Sinne eines größeren Planetary-Health-Modells, bedeutet das aus meiner Sicht eine enorme Aufwertung für die „Sprechende Medizin“. Denn letztlich wird es darum gehen, bei Aufrechterhaltung der medizinisch notwendigen Versorgung gleichzeitig emissionsträchtige und umweltbelastende Behandlungen, Geräte, Medikamente usw. soweit wie möglich zu reduzieren. Wir wissen aus der Forschung, dass wir beispielsweise Operationen verhindern können, wenn wir den zugrunde liegenden krank machenden Lebensstil konsequent fokussieren. Wir brauchen eine deutliche Aufwertung von Prävention, nachdem wir als Trend in den letzten Jahrzehnten eher eine zunehmende Spezialisierung im medizinischen Bereich erfahren haben. Es geht ja hierbei um all die Aspekte, mit denen wir uns zentral beschäftigen, wie: Verdrängung, Handlungsmotivation, Verhaltensänderungen. Wir haben Kenntnisse und Fähigkeiten, die heute auch über die Behandlungszimmer hinaus im breiten Stil gebraucht werden. Es ist an der Zeit, uns hörbar in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs einzubringen.

AML: Ja, da sprechen Sie ein wahres Wort gelassen aus, Frau Dohm. Wir haben zum Beispiel lange versucht, in die COVID-Debatte mehr Rationalität einzubringen und Impfungen zu fördern. Aus der Politik gab es viele Anfragen in Richtung „Macht doch mal was, um die irrationalen Befürchtungen abzubauen und die Leute zu motivieren.“ Wir haben die Techniken, aber wir haben sie nicht wirklich erfolgreich in die Breite gebracht …

LD: Darauf sollten wir unser Augenmerk richten und noch viel interdisziplinärer zusammenarbeiten.

AML: Ich glaube, das Problem ist noch nicht geknackt: Wie bringe ich solche informationellen Bubbles, wie sie im Moment ja für jedes politisierte Thema entstehen, wieder in einen rationalen, handlungsgeleiteten Diskurs?

LD: Meiner Erfahrung nach haben viele das Gefühl, nicht genug zu wissen, um sich in solchen Fragen einzubringen. Verständlich, zumal die anstehende sozial-ökologische Transformation sehr umfassend ist und in viele Richtungen gehen kann. Obwohl ich mich seit Jahren damit beschäftige, habe ich trotzdem das Gefühl, ich muss es noch besser durchdringen. Das geht vermutlich niemals weg, das Feld ist auch sehr dynamisch. Wir sollten jedoch unser vorhandenes Wissen in puncto Verhaltensänderungen, Motivationsförderung und Kommunikation nicht unterschätzen. Unser Fachgebiet kann auch wissenschaftliche Erkenntnisse in ihrer Seriosität einordnen. Und auf Grundlage all dessen können wir bereits jetzt schon aktiv handeln. Wir können diese Menschheitsaufgabe angemessen priorisieren und neue Ideen entwickeln. Der Psychologische Medienleitfaden Klima ist eine hilfreiche Ressource, um die Klimakrise konstruktiv und ohne Panikmache in den Medien zu präsentieren.

AML: Es gibt noch einige offene Fragen. Sie haben auch erwähnt, dass Sie bestimmte Punkte als Forschungsbedarf erkennen und aktiv in diesem Bereich tätig sind …

LD: Aktiv tätig bin ich derzeit vor allem in der Weiterentwicklung von stationären Behandlungskonzepten im Sinne von Planetary Health. Dafür haben wir von KLUG an der psychosomatischen Rehaklinik Möhnesee ein sogenanntes „Reallabor“ etabliert, in dem wir gezielt mit den Mitarbeitenden aller Berufsgruppen zusammenarbeiten und sie auf die Arbeit in Zeiten ökologischer Krisen vorbereiten. Mit Blick auf die Forschung gibt es aus meiner Sicht das Problem, dass wir zum Beispiel in der klinischen Psychologie sehr fokussiert darauf sind, also innerhalb eines Forschungsparadigmas arbeiten, das darauf abzielt, am Ende des Prozesses in einem 1:1-Setting zu arbeiten und evidenzbasierte Methoden wie verhaltenstherapeutische Ansätze anzuwenden, die dann weiter erforscht und vertieft werden. Meiner Meinung nach braucht es einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Interdisziplinarität und Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftsbereichen, die für existenzielle Fragen von besonderer Bedeutung sind: zum Beispiel Soziologie, Kulturwissenschaften sowie Meteorologie und Biologie. Wir könnten dadurch an Informationen gelangen, die über die bisherige Standardforschung hinausgehen und der Existenzialität der ökologischen Krisen eher gerecht werden.

AML: Ja, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Globale Krisen erfordern definitiv einen interdisziplinären Ansatz. Aus praktischer Sicht weiß ich, dass es schwierig ist, interdisziplinäre Forschung erfolgreich umzusetzen, auch wenn alle sich einig sind, dass es wichtig ist, zusammenzuarbeiten. Die Paradigmen und Anreizsysteme in den verschiedenen Disziplinen können sehr unterschiedlich sein.

LD: Das ist absolut richtig, und mein Vorschlag widerspricht den aktuellen Gegebenheiten in der wissenschaftlichen Landschaft. Fachjournale sind häufig stark auf bestimmte Fachgruppen ausgerichtet, sodass interdisziplinäre Artikel im Peer-Review-Verfahren abgelehnt werden, weil sie nicht ins Standardbild des Journals passen. Wir stehen vor großen Hürden, um Wege zu finden, wie wir dies besser zusammenführen können. Die Zusammenarbeit ist dringend notwendig.

AML: Vielleicht spielen wir als Fach eine besondere Rolle, da es sich weit in die Natur- und Kulturwissenschaften erstreckt, was es so faszinierend macht. Wir haben auch Kompetenzen in der Gestaltung schwieriger Gruppenprozesse, die in solchen Verbundforschungen auftauchen können.

LD: Wir überbrücken genau diese Schwelle zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, was uns in eine zentrale Position in dieser Transformation bringt, unterstützt von dem hohen Vertrauen, das wir in der Bevölkerung genießen!

AML: Das ist eine gute Stoßrichtung. Wir sind uns einig, dass das Thema One Health oder Planetary Health noch weiter erforscht und vorangetrieben werden muss. Ich glaube, es ist zwar präsent, aber im Moment wird es noch sehr stark von der Pandemie bestimmt. Wir beschäftigen uns vor allem mit der Surveillance von Viruserkrankungen bei Tieren und fragen uns, welches Virus uns als nächstes treffen wird. Dabei ist der Mental-Health-Aspekt noch nicht so in den Köpfen der Handelnden, wie er meiner Meinung nach sein sollte.

LD: Was ich wichtig finde, sind zwei Aspekte, die in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für globale Umweltveränderungen konkret benannt werden: Zum einen braucht die Transformation, wenn sie gelingen soll, einen Wertewandel, der weg von individueller Profitmaximierung hin zu Werten wie Naturleben, Zeitwohlstand und Verbindung, Freundschaft und Gemeinschaft geht. In unseren Behandlungen gelingt dies noch nicht immer. Und zum anderen betont das Gutachten, dass diese Transformation auf Einsicht und Voraussicht basieren muss – im Gegensatz zur industriellen Revolution, die übrigens hier als Vergleich herangezogen wird.

AML: Das ist durchaus gerechtfertigt!

LD: Und wer kommt dafür mehr infrage, als unsere Fachgruppe? Wobei derzeit niemand speziell dafür ausgebildet ist. Aber wir müssen uns jetzt damit auseinandersetzen. Selbst wenn wir zukünftige Kolleginnen besser in diesem Bereich ausbilden; wir müssen heute und als bereits praktizierende Menschen beginnen. Das ist eine große Aufgabe und dafür brauchen wir alle P-Fächer.

AML: Die Resonanz ist schon groß. Das können wir definitiv sagen. Wir haben uns ein Klimaneutralitätsziel gesetzt, das von unserer Mitgliederversammlung mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde. Es gewinnt an Bedeutung und es ist gut, dass wir uns damit beschäftigen – auch wenn es eine höchst anspruchsvolle Aufgabe ist.

LD: Die BPtK (Bundespsychotherapeutenkammer) hat es zuletzt in die Muster-Berufsordnung integriert: „Sie beteiligen sich an der Erhaltung und Förderung der ökologischen und soziokulturellen Lebensgrundlagen im Hinblick auf die psychische Gesundheit der Menschen“ (§ 2 MBO).

AML: Wir hatten ja bereits Beispiele genannt, bei denen eine richtige Behandlung sowohl für die Psyche als auch für die Umwelt vorteilhaft ist. Wobei es zu Konflikten führen kann, wenn das nicht immer gilt. Ein Beispiel ist die vegetarische Ernährung. Die meisten Untersuchungen und Metaanalysen zeigen: Je mehr vegetarisch gegessen wird, desto depressiver sind die Konsumenten. Man muss also vorsichtig sein.

LD: Nicht alles, was der Psyche gut tut ist ethisch vertretbar. Flugreisen z. B. sind wahrscheinlich auch gut für die Psyche, aber enorm klimaschädlich. Das passt zum Stichwort „Wertewandel“.

AML: Stimmt. Für mich persönlich sind Flugreisen selbst nicht unbedingt positiv, aber die Ziele, die man erreicht, können es sein.

LD: Wie fühlen Sie sich denn persönlich mit der Klimakrise, wenn ich die Eingangsfrage einmal zurückgeben darf?

AML: Ich fühle mich zunehmend unter Druck. Seit es auch beruflich zum Gegenstand geworden ist, ist es in meinem Alltag präsenter. Ich frage meine Patienten regelmäßig danach und höre häufig etwas darüber. Ich werde meinen eigenen Ansprüchen nicht immer gerecht und es bleibt ein Gefühl von Handlungsdruck.

LD: Ich kann den Druck gut nachvollziehen, freue mich, dass wir an diesem Thema zusammenarbeiten und der Kongress ein Schlaglicht darauf wirft. Gut, dass immer mehr solcher Veranstaltungen stattfinden. Es ist zentral, dass wir in größerem Maßstab gemeinsam ins Umsetzen kommen. Das wird die Herausforderung in den nächsten Jahren sein.

AML: Genau – nutzen wir jede Plattform, damit das gelingt! Die Kommunikationsarbeit ist entscheidend dafür, ob wir die Transformation werden bewältigen können oder nicht. Ich möchte sagen: Klimawandel ist real. Wir können uns nicht davor wegducken, aber wir können und müssen etwas dagegen tun, sowohl als Individuen als auch als Gruppe. Das wäre meine Botschaft.

LD: Die Verwendung von medizinischen Analogien in der Klimakommunikation ist äußerst hilfreich. Wenn wir den Klimawandel wie einen medizinischen Notfall betrachten, müssen wir aktiv handeln, statt zu leugnen. Wir haben eine Diagnose und eine klare Therapieempfehlung. Wir müssen uns wie in der Medizin nach den Fakten und Evidenzen richten und nicht nach Angst oder Hoffnung.


Personen

Prof. Dr. med. Andreas Meyer-Lindenberg leitet seit 2007 das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Sein wissenschaftlicher Fokus liegt auf der Analyse von Risiko- und Schutzmechanismen bei psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Depression. Aktuell untersucht er die Auswirkungen der Umwelt und des Klimawandels auf die psychische Gesundheit. Seit 2023 ist er Präsident der DGPPN.

Dipl.-Psych. Lea Dohm ist Psychologische Psychotherapeutin, Fachjournalistin, Mitinitia torin der Psychologists/ Psychotherapists for Future und Autorin des Buchs „Klimagefühle“. Bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), beschäftigt sie sich mit der Transformation von Behandlungskonzepten sowie deren praktischer Implementierung mit Blick auf Planetary Health.

 

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